So schön ist Duisburgs Natur
Auf der einen Seite Industrie Kulisse. Stahlwerk, Kokerei und Kraftwerk. aus den Schloten strömt Qualm, ab und an züngeln Flammen hervor. Nach Westen senkt sich der Blick auf das niederrheinische Tiefland. Der Fluss, grüne Wiesen, Bäume und Vögel. Das Panorama vom Alsumer Berg führt vor Augen, wie leicht zwei widersprüchliche Dinge nebeneinander ihren Platz finden können. Natur, Stadt, Industrie – auf der ehemaligen Halde in Walsum trennt sie nur die Blickrichtung. Heute ist der Alsumer Berg ein Landschaftsschutzgebiet. Früher war er eine Schutthalde, unter der ein ganzer Stadtteil begraben wurde.
Diese „wahnsinnigen Kontraste“ sind es, weswegen Stefan Jeschke ihn „seinen schönsten Berg“ nennt. Er ist einer von zwei Duisburger Stadtförstern und unter anderem verantwortlich für den Alsumer Berg. Den Duisburger Wald, um den er sich kümmert, betrachtet er aus der Warte eines Großstadtmenschen. Wald und Stadt verschmelzen im Ruhrgebiet. Die Definition von Wald, hat hier nur stellenweise etwas gemein, mit der Vorstellung aus Märchen und Folklore. Das Spektrum reicht vom tiefen, dunklen Wald bis zu ein paar Bäumen mitten in der Stadt.
Mit dieser Besonderheit musste der 51-Jährige erstmal klarkommen, als er vor 23 Jahren den Job als Förster übernahm. Denn: Der Wald schließt hier den Menschen stärker mit ein, als es in weniger dicht besiedelten Regionen der Fall ist. „Damals kannte ich nicht die Bandbreite, die in unserer Gesellschaft vorhanden ist“, sagt er. Jeschke ist in Neudorf aufgewachsen. Dort kannte er sich aus. „aber Duisburg, das ist eben nicht nur Neudorf.“ Die Menschen im Norden ticken anders als die Menschen im Süden nahe der Stadtgrenze zu Düsseldorf.
Privates Engagement
Und ihnen begegnet er täglich bei seiner Arbeit. Es sind die Jogger, Walker und Spaziergänger, die auf den Wegen im Wald unterwegs sind. Er ist nicht nur Lebensraum für Tiere und Pflanzen oder ein großer Filter für die Abgase und Feinstäube, sondern auch Erholungsraum für die Bürger. „Das alles unter einen Hut zu bekommen, das ist das Besondere an unserer Arbeit“, so Jeschke. Die von Bäumen bedeckte Fläche macht etwa elf Prozent von Duisburg aus. Das sind ungefähr 2.500 Hektar oder 3.500 Fußballfelder. Fragt man Stefan Jeschke danach, ob das genug ist, dann sagt er: Nein. Das Ziel von ihm und seinem Kollegen Axel Freude, der sich um das Areal an der Sechs-Seen-Platte kümmert, sind 15 Prozent. Das entspräche dem Durchschnitt in Nordrhein-Westfalen für eine Stadt wie Duisburg.
Dazu sind in den vergangenen Jahren rund 70 Hektar Wald aufgeforstet worden. Und das oftmals mit privatwirtschaftlichem Engagement. So haben unter anderem die Stadtwerke Duisburg seit 2009 mehr als 3.000 Bäume gemeinsam mit den Bürgern gepflanzt. Nach dem Pfingststurm „Ela“, der 2014 unzählige Bäume entwurzelt hatte, übernahm der Energieversorger hunderte von Baumpatenschaften, damit der Schaden im Stadtwald ausgeglichen werden konnte. Natur ist aber in Duisburg keinesfalls nur mit Wald gleichzusetzen. als Beispiel dafür dienen die Rheinauen in Walsum: Das Naturschutzgebiet ist ein idyllisches Biotop, wie es heute in der industriell geprägten Landschaft des Ruhrgebiets nur selten anzutreffen ist. an diesem Ort ist noch die gesamte Artenvielfalt der tier- und Pflanzenwelt des Niederrheins heimisch. Darunter befinden sich viele Tiere und Vögel, die nur sehr selten in Nordrhein-Westfalen zu finden sind. aber selbst hier, wo die Natur augenscheinlich noch im Gleichgewicht ist, kommt sie nicht ohne die Hand des Menschen aus. Die Kopfbäume, die als Nistplätze für verschiedene Vogelarten oder als Winterquartiere für Fledermäuse dienen, würden ohne die nötige Pflege auseinanderbrechen. „Es handelt sich um ganz normale Bäume, die nur auf eine bestimmte Art geschnitten sind”, so Dr. Johannes Meßer von der Arbeitsgruppe „Naturschutzgebiet Rheinaue Walsum” vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Weiden, Eichen, Eschen und Pappeln wachsen in der Rheinaue. Durch die besondere Schnittweise bilden die Äste der Bäume eine Art Kopf. Wenn die Äste zu lang werden, brechen die Bäume einfach in der Mitte durch, weil der Stamm das Gewicht des Kopfes nicht aushält.
Wahrzeichen des Niederrheins
Vor dem Zweiten Weltkrieg haben die Bauern der Region die Kopfbäume regelmäßig beschnitten. Das Schnittgut verwendeten die Landwirte als Feuerholz und Viehfutter oder sie fertigten daraus Werkzeugstiele, Holzschuhe, Flechtkörbe und Zaunpfähle an. Heute ist das nicht mehr der Fall. Eine Sache hat sich aber nicht geändert. „Die Kopfbäume sind heute noch das Wahrzeichen des Niederrheins”, wie Dr. Johannes Meßer erklärt. Seit mehr als 20 Jahren pflegt der BUND Duisburg die rund 650 Kopfbäume in der Rheinaue. Einmal im Jahr rücken die ehrenamtlichen Helfer der Arbeitsgruppe ausgerüstet mit Leitern und Kettensägen an, um einem Teil der Bäume den Kopf zu stutzen. Jedes Jahr sind es zirka zehn Prozent oder 70 bis 100 Bäume. „Alle drei bis vier Jahre müssen die Äste runter”, sagt Dr. Johannes Meßer. Die Arbeit mit der Kettensäge ist aber alles andere als ungefährlich. Nicht nur die scharfen Zähne können den ehrenamtlichen Helfern gefährlich werden, sondern auch die zum Teil schweren Äste. Mühselig ist es allerdings nicht, die Hölzer mit der Säge von ihrer Last zu befreien. „Die meiste Arbeit ist, die Äste wegzuschleppen”, so Meßer. Manchmal müssen sie das Schnittgut mehrere hundert Meter tragen, weil die Bauern nicht möchten, dass sie das Holz direkt in der Nähe ihrer Grundstücke liegen lassen.
Dort, wo es kein Problem ist, lassen sie das Geäst einfach im Reisig liegen. Rotkehlchen oder Zaunkönige können geschützt vor Fressfeinden in dem Gestrüpp nisten. in den Baumhöhlen der Kopfbäume nisten Vögel wie der Steinkauz, die Hohltaube oder der Höhlenbrüter. „Das sind alles bedrohte Tierarten”, so Meßer. Die Rheinauen mit ihren Kopfbäumen sind eine Kulturlandschaft, die durch den Ackerbau und die Viehzucht in der Region entstanden ist. Sie verdrängte schon lange vor der Industrie den Wald. Der Duisburger Stadtwald etwa erstreckte sich im Mittelalter noch von den Ruhrauen bis zum Ufer des Rheins im Süden der Stadt. Das etwa 600 Hektar große Gebiet ist heute das Revier von Stefan Jeschke.
Spagat für den Förster
Insgesamt ist Jeschke für 800 Hektar verantwortlich. Das ist eine Fläche von acht Millionen Quadratmetern auf der mehr als 50.000 durchschnittliche Wohnhäuser Platz hätten.
Eine der Hauptaufgaben des Försters ist es, hier den Baumbestand im Auge zu behalten. Er lässt gefährliche und kranke Bäume entfernen und kümmert sich darum, dass Ersatz gepflanzt wird. auf dem Kaiserberg ist eine mehr als hundert Jahre alte Buche von einem Pilz befallen. Dass Jeschkes Mitarbeiter Sebastian Meyer (38) den Baum fällen muss, gefällt auch dem Förster nicht. Vom Weg aus sieht er gesund aus. an der Rückseite wuchert jedoch ein großer Pilz, der sich tief in den Stamm gefressen hat. Wie krank die Buche ist, zeigt sich, als Sebastian Meyer die Kettensäge ansetzt, um eine Fallkerbe aus dem Holz zu schneiden. Der Forstwirt hat seine Mühe bei der Arbeit. Die Kettensäge verkeilt sich. Er wechselt sie. Die Fallkerbe hat den Zweck, dass der Baum beim Fällen in die gewünschte Richtung fällt. Dann bricht der Stamm der Buche plötzlich und der Baum knallt mit einem lauten Krachen auf den Boden. Die große, schwere Krone reißt noch einen anderen Baum halb aus der Erde.
„Sowas passiert sehr selten“, sagt Sebastian Meyer. Ein Blick auf die Stelle, an der der Stamm gebrochen ist, verrät den Grund. Schwarz, vom Pilz zersetzt wirkt das Holz im inneren des Baumes wie Kompost. „Hier werden wir pflanzen müssen“, sagt Jeschke. Für den Förster sind solche arbeiten immer ein innerlicher Spagat, wie er erklärt: „Der Erhalt der Bäume und die Not der Fällung.“ Für ihn wäre es aber schlimmer, wenn er ein ganzes Gebiet abholzen müsste, weil die Bäume nicht gepflegt wurden. Er nennt das „naturgemäße Waldwirtschaft“. Junge und alte Bäume sollen sich den Wald teilen. Von März bis April pflanzen Stefan Jeschke, Axel Freude und ihre Mitarbeiter deshalb rund 50.000 neue Bäume. „Es gibt aber auch Jahre, da sind es mal 100.000“, sagt Jeschke. Der Wald in Duisburg braucht den Menschen, der eingreift und reguliert. Dazu gehören auch die Jäger. „Sinn der Jagd ist es, ein Gleichgewicht innerhalb der Natur herzustellen“, sagt Wolfgang Westenberger, Chef der Kreisjägerschaft Duisburg: „Viele meinen, das regelt sich alles selbst. Tut es aber nicht.“ Eine zu große Population Rehe, die Triebe junger Pflanzen anfrisst, kann ein Problem für den Wald sein. „Ohne Förster und Jäger hätten wir hier keinen Wald, sondern eine Art Gebüsch ohne große, alte Bäume“, sagt Westenberger.
Aber es gibt auch jene Fleckchen in Duisburg, die sich selbst überlassen werden. Dichtes Laub auf dem Boden. Ein Blätterdach, das sich zwischen den Wipfeln der Bäume spannt. Moosbewachsene Baumstämme. Meterhohe Farne. Etwa sieben Prozent des Stadtwaldes sind „Urwald“. Er bietet Fledermäusen, Siebenschläfern, Eulen, Pilzen und diversen Singvögeln einen Lebensraum. Und dort hat der Wald noch die Atmosphäre, die wir auch aus den Märchen der Gebrüder Grimm kennen.
Betreten erlaubt: Grundsätzlich gilt, dass das Betreten des Waldes überall erlaubt ist. Aber es gibt Ausnahmen: Wo ein „Nicht betreten“-Schild steht, sollten sich Waldbesucher daran halten. Auto stehen lassen: Autos oder Motorräder haben auf den Waldwegen nichts zu suchen.
Leinenpflicht: Abseits der Wege oder in Naturschutzgebieten gilt für Hunde die Leinenpflicht. Frei laufende Vierbeiner sind auch auf Liegewiesen und Kinderspielplätzen tabu.
Brandgefährlich: Vom 1. März bis zum 31. Oktober ist das Rauchen in Wäldern verboten. Offenes Feuer und Grillen sind generell nur an ausgewiesenen Feuerstellen erlaubt.
Müll mitnehmen: Für Abfall gibt es Mülleimer. Ihn im Wald einfach liegen zu lassen, das schadet der Natur und der Tierwelt.
Events erlaubt: Auch größere Events sind im Wald in Ordnung. Allerdings müssen sie bei der Forstverwaltung angemeldet werden.