Der lange Weg bis zur Premiere
Der Applaus hört gar nicht mehr auf. Minutenlang klatscht das Publikum. Vereinzelt rufen die Zuschauer lauthals „Bravo“. Der Jubel der Zuschauer im Theater Duisburg ist der Lohn für die wochenlange, harte Arbeit, um die Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper „Madama Butterfly“ auf die Bühne zu bringen. Bei der Premiere scheinen alle Anstrengungen vergessen. x
Das hat Tücken. Die exakt gleiche Farbe für einen Pelz lässt sich nur schwer herstellen. Haben die Tiere auf der Weide anderes Futter gegessen, so verändert sich die Textur des Fells um eine Nuance und schon schillert der Webpelz um einen Hauch heller oder dunkler. Dafür hat der Rohstoff einen umwelt- und tierfreundlichen Vorteil: Er ist nachwachsend. Viele große Designer-Marken trennten sich deshalb von dem politisch wenig korrekten Echtpelz-Besatz. Mohair oder Alpaka schenken nun das Flauschgefühl. Damit stieg auch die Nachfrage nach den Webpelzen aus Duisburg. Beim Rundgang durchs Unternehmen hat Bernhard Wanning sein Telefon dabei. Hugo Boss lässt man nicht warten. Und das Modegeschäft ist ein schnelllebiges: Entdecken die Designer ihre liebe zum Flausch, dann fragen sie in Duisburg nach. ist gerade keine Saison fürs Pelzige, bleibt es ruhig in der Leitung. Steiff Schulte präsentiert seine Stoffe zugleich ganz aktiv. auf Messen oder bei Designern in China. Bernhard Wanning hat da gute Marktchancen ausgemacht. Weil „made in Germany“ zählt und weil der Flausch sich so wunderbar anfühlt.
Maske
Als Liana Aleksanyan den Anruf aus Duisburg bekam, war sie gerade in Mailand, Italien. „Eigentlich wollte ich etwas entspannen. Aber kurzfristig für jemanden einzuspringen, ist ganz normal in unserem Beruf“, sagt Liana Aleksanyan, während sie in der Maske für ihre Rolle zurechtgemacht wird. „Die Partie kenne ich ja sehr gut. Nurdie Inszenierung ist für mich neu.“ Zuletzt sang sie in der Rolle die Cio-Cio-San an der Mailänder Scala, einem der bekanntesten und berühmtesten Opernhäuser der Welt, wo Puccinis Oper 1904 auch seine Uraufführung feierte.
Die Scala in Mailand unterscheidet sich in vielen Dingen von dem Duisburger Haus. Gemein ist aber allen Opernhäusern, dass sie einem straff durch getakteten Zeitplan bis zur Premiere folgen. In der Maske verschwindet aber auch kurz vor der Generalprobetrotz allen Stresses nicht die kreative Leichtigkeit, die Künstlern so eigen ist. Ein Spiegel, der von einer Neonröhre beleuchtet wird, spannt sich über die gesamte Breite des Raums. Davor steht ein iPhone – Liana Aleksanyan filmt ihre Verwandlung in die Bühnenfigur Cio-Cio-San als Timelapse-Video:30 Minuten werden später zu 30 Sekunden. „Das sieht witzig aus. Und vielleichtnehme ich es für Facebook“, erklärt Aleksanyan, warum sie das macht. Von Aufregung keine Spur. Die Sopranistin ist umgeben von Perücken, die auf Styroporköpfen aufgespannt sind. Puderdosen, Schminke, Haarspray-Flaschen, eine Kiste mit unzähligen Haarspangen liegen bereit.
Mit im Raum ist Vera Schneider, Maskenbildnerin. Heute schminkt sie neben Aleksanyan noch zwei weitere Sängerinnen und das Kind von Cio-Cio-San. „Nein, Routine ist das nicht. Wir Maskenbildner müssen sehr konzentriert sein bei der Arbeit, besonders bei neuen Stücken“, sagt sie. Wenn Vera Schneider fertig ist, dann schreibt sie erstmal Berichte. Ja, auch Papierkram gehört zum Job. Er stellt sicher, dass jemand anderes übernehmen könnte, falls sie einmal ausfällt.
Das Schminken dauert etwa 30 Minuten. Zunächst wird helle Schminke als Basisaufgetragen, danach folgen Augenbrauen, Wimpern, Lidstrich. „Wir tragen deutlichmehr Schminke auf, als wir es im Alltagtun würden. Das Make-up muss im Theater ja auch aus der Entfernung zu sehen sein“, erklärt Schneider. Als einen der letzten Handgriffe setzt Vera Schneider Liana Aleksanyan die Perücke auf, Echthaar. Siemusste durch den Wechsel in der Besetzung komplett neu angefertigt werden. „Sie muss exakt auf die Kopfform der Sängerin passen. Mein Ziel ist es, dass die Künstlerin sich damit wohlfühlt“, sagt Schneider.
Kostüm
Während es bei der Perücke auf Präzision ankommt, gibt es bei den Kostümen noch einen gewissen Spielraum – zumindest in diesem Fall. Liana Aleksanyan und ihre erkrankte Kollegin sind mehr oder weniger gleich groß. „Das war großes Glück“, sagt Mercè Paloma. Die Spanierin ist die Kostümbildnerin, die das Geisha-Outfit entworfen hat. Sie arbeitet sowohl für Opern als auch Filmproduktionen. Daher weiß sie, dass ähnlich wie im Kino auch auf der Bühne heutzutage stärker auf Realismus geachtet wird. „Es werden immer mehr Details in die Kostüme eingearbeitet“, sagt Mercè Paloma. Was sie damit meint, zeigt sich sehr deutlich am Kostüm von Butterfly. Ihr Gewand besteht aus sechs Lagen, die schwerste wiegt fünf Kilogramm. Das Gewand ist mit metallisch schimmernden Pailletten besetzt, jede einzelne wurde von Hand vernäht. Mit Nähmaschinen lässt sich hier nicht arbeiten. Der Aufwand ist enorm.
„In Japan ist es Tradition, dass eine Geisha eine Reihe von Kimonos trägt“, erklärt Stefanie Salm. Sie leitet die Kostümabteilung der Deutschen Oper am Rhein. Dort sitzen die Mitarbeiterinnen konzentriert vor langen Tischen, auf denen Stoffe und Kleider ausgebreitet sind, vertieft in ihre Arbeit. Draußen vor der Tür hängen bereits viele fertige Kostüme. Bis zur Premiere sind es noch etwas mehr als zwei Wochen. Parallel zu „Madama Butterfly“ arbeitet das Team um Stefanie Salm schon an den nächsten Stücken, die dieses Jahr Premiere haben. Stillstand oder gar ruhige Phasen gibt es nicht.
Wie überall an der Deutschen Oper am Rhein sind es die kleinen, authentischen Details, die ein bekanntes Stück wie „Madama Butterfly“ zu einem Unikat, zu einer eigenständigen künstlerischen Leistung machen.
Bühnenbild
Joan Anton Rechi ist sich dieser Tatsache bewusst wie kein anderer bei dieser Produktion. Als Regisseur trägt alles, was der Zuschauer zu sehen bekommt, seine Handschrift. Die Handlung, die ursprünglich am Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist, verlegt er in das Jahr 1945, als ein amerikanischer Bomber eine Atombombe auf die Stadt Nagasaki abwirft. „Die Zerstörung soll die Gefühle der Protagonistin auf das Setting übertragen“, sagt er.
Rechis Idee ist mehr als ein dramaturgischer Kniff. Sie beleuchtet einen Teil der Geschichte von Puccinis Oper und das Verhältniszwischen den Vereinigten Staaten und Japan. Denn vor dem Zweiten Weltkrieg war „Madama Butterfly“ die beliebteste Oper in den USA. Danach wandelte sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern. Erst 2016 besuchte mit Barack Obama ein US-Präsident erstmals Hiroshima – die erste Stadt, die die USA mit einer Nuklearwaffe bombardierten.
Dass Joan Anton Rechis Vision von „MadamaButterfly“ Realität wird, daran arbeitet neben Liana Aleksanyan, ihren Darstellerkollegen, Musikern, Bühnentechnikern und Kostümbildnern auch das Team von Christian Acht. Er ist der Leiter der Werkstätten der Deutschen Oper am Rhein. Bei ihm trifft künstlerische Kreativität auf handwerkliches Know-how. Schreiner, Schlosser, Maler, Plastiker und Dekorateure arbeiten unter Hochdruck am Bühnenbild. Vor sieben Wochen haben sie begonnen, bis zur Premiere bleibt ihnen nicht einmal ein Monat. „Jetzt müssen wir ordentlich Gas geben“, sagt Christian Acht. Viel Fleißarbeit liegt noch vor ihnen, schließlich setzt Regisseur Joan Anton Rechi bei seiner Inszenierung der „Madama Butterfly“ auf große Bilder, die sein Bühnenbildner Alfons Flores entworfen hat.
Nach dem Atombomben-Abwurf ist die Bühne ein Trümmerfeld. Im Malersaal sitzen drei Mitarbeiterinnen in der Mitte des Raums. Ihre Aufgabe: Trümmer bauen. Dazu tunken sie Schaumstoffstücke in graue Farbe, wringen sie aus und legen sie auf den Boden zum Trocken – immer wieder und wieder. Schwierig waren vor allem die 15Säulen, aus denen auf der Bühne im ersten Akt das Konsulat der USA in Nagasaki entsteht. Für die Blätterverzierungen an den Säulen haben Bühnenplastikerin Stefanie Schubert und ihre Kollegen 550 Abgüsse mit rund 30 Gipsformen gemacht. Dazu hat sich die Werkstatt extra einen weiteren Brennofen von einem anderen Hausgeliehen. „Wir hätten auch alles von Handschnitzen können, aber das hätte viel zulange gedauert“, sagt sie. „Doch auch so war es ein Ausnahmeprojekt. “
Von den 36 Mitarbeitern, die in den Werkstätten arbeiten, ist bei der Premiere, wenn sich der Vorhang für Liana Aleksanyan hebt, niemand auf der Bühne zu sehen. Und auch wenn die Oper vorbei ist und Regisseur, Dirigent, Bühnenbildner und Kostümbildnerin vor das Publikum treten, sich verbeugen und im Applaus baden, bleiben diese Menschenhinter den Kulissen. Trotzdem sind sie auf der Bühne präsent. „Wenn der Vorhangaufgeht“, sagt Werkstattleiter Christian Acht, „dann ist es unsere Arbeit, die man als Erstes sieht. “
Während in den Werkstätten nach und nach das Bühnenbild entsteht, laufen ein paar Räume weiter die Proben. Die Probebühne ist ebenfalls im Produktionszentrum in Wanheimerort untergebracht. Weiße Linien auf dem Boden deuten das spätere Bühnenbild an und zeigen, welche Wege die Protagonisten laufen müssen.
Probebühne
Aziz Shokhakimov sitzt auf einem hohen Stuhl und schwingt seinen Taktstock. Der junge Mann aus Usbekistan ist gerade mal 28 Jahre alt und Kapellmeister der Deutschen Oper am Rhein. Das Orchester ist bei diesen frühen Proben noch nicht dabei. Erst bei den Bühnenorchesterproben und der Orchesterhauptprobe kommen die Philharmoniker hinzu. Musikalisch begleitet zunächst nur das Klavier die Partien der Darsteller. Plötzlich springt Regisseur Joan Anton Rechi auf und ruft: „Gut, gut, wirklich sehr gut.“ Dann erklärt der in Andorra geborene Opern-Mann einer Sängerin, wie sie mit ihrem Blick noch ausdrucksstärker die Dramatik der Szene verdeutlichen kann.
Die musikalischen Partien sitzen zu diesem Zeitpunkt bereits. Die Darsteller haben sie schon vorher einstudiert. Bei den Proben geht es nun um den Feinschliff. Noch viele Male springt Joan Anton Rechi an diesem Tag von seinem Platz auf, um Dinge zu berichtigen, die er sich anders vorstellt. Mal ist es die Art und Weise, wie Cio-Cio-San eine Perlenkette überreicht bekommt, und mal sind es die Feinheiten des rituellen japanischen Selbstmordes, die nach und nach bei den Proben herausgearbeitet werden.
Auf der Probebühne in Wanheimerort feilen alle Beteiligten an der Inszenierung, experimentieren und haben noch den Spielraum, Neues auszuprobieren – das gilt bis etwa 72 Stunden vor der Premiere. Dann ist die große Generalprobe. Für Liana Aleksanyan waren zuvor drei Extraproben auf der Probebühne angesetzt worden, damit sie sich in die Inszenierung hineinfinden konnte. Die Texte kennt sie. „Die Geschichte ist immer gleich. Das ist also gar kein Problem“, sagt sie. „Auch, wenn es andere Kostüme gibt und das Stück in einer anderen Zeit angesetzt ist – es ist doch sehr nah dran an dem, was Puccini geschrieben hat.“
Bei der Generalprobe sitzt dann mit dem Freundeskreis der Deutschen Oper am Rhein auch schon das erste Mal Publikum mit im Saal. Alles soll realistisch sein. Kurz bevor sich der Vorhang öffnet, steigt Operndirektor Stephen Harrison auf die Bühne: „Heute haben wir noch die Chance, etwas zu verbessern“, sagt er den Gästen. „Und deswegen kann es sein, dass
die Sänger nicht voll aussingen – um ihre Kräfte für die Premiere zu schonen.“ Kräfte schonen? Daran denkt hier heute niemand. Spätestens nach der Generalprobe wissen alle Beteiligten, dass „Madama Butterfly“ ein Erfolg wird. „Jedes Mal, wenn eine neue Produktion entsteht und das ganze Haus auf die Premiere hinarbeitet, fasziniert mich, wie alle Gewerke, Künstler und
Mitarbeiter an einem Strang ziehen und sich für das bestmögliche Ergebnis einsetzen“, sagt Liana Aleksanyan. „Ein Rad greift ins andere, und auch dem kleinsten Detail wird Bedeutung beigemessen. Überall im Theater spürt man, wie wichtig dieses Zusammenspiel ist.“ Drei Tage später werden sie auf der Bühne stehen und den Applaus genießen. Es ist der Lohn für harte Arbeit.
In Giacomo Puccinis (1858 - 1924) Oper „Madama Butterfly“ geht es um die japanische Geisha Cio-Cio-San, die man wegen ihrer Schönheit Butterfly nennt. Sie wird dem amerikanischen Marineleutnant Pinkerton als Braut angeboten. Er stimmt der Hochzeit zu, aber nur zu einem Zweck: Pinkerton will eine Nacht mit Cio-Cio-San verbringen. An Butterfly als Mensch oder der japanischen Kultur hat der Amerikaner wenig Interesse. Die Warnung des amerikanischen Konsuls Sharpless, dass Butterfly das Eheversprechen ernst nehmen könnte, ignoriert Pinkerton. Kurz nach der Hochzeitsnacht verlässt er Japan und kehrt nach Amerika zurück. Die schwangere Cio-Cio-San bleibt zurück, bringt einen Sohn zur Welt und wartet Jahre auf die Rückkehr ihres geliebten Mannes. Als Pinkerton dann schließlich doch nach Japan zurückkehrt, erwidert er Butterflys Gefühle immer noch nicht. Mittlerweile ist er mit Kate Pinkerton verheiratet und will nur sein Kind mit nach Amerika nehmen. Cio-Cio-San realisiert nun endlich, welches Spiel ihr vermeintlicher Gemahl spielt, fühlt sich entehrt und flüchtet in den Selbstmord. Tickets erhalten Sie an der Theaterkasse Opernplatz, 47051 Duisburg unter der Telefonnummer 0203 283 62 100 oder per Mail an ticket@operamrhein.de. Weitere Informationen finden Sie unter operamrhein.de.