Tierisch viel Familie
Der ganze Seelöwenkindergarten ist in Alarmbereitschaft. Vorhin erst stand ein Hund vor dem Becken – ein merkwürdiger Vierbeiner, den man hier noch nicht oft gesehen hat. Nervöse Robbenköpfe lugen kerzengerade aus dem Wasser. Selbst der vorwitzige Jonny riskiert jetzt keine dicke Lippe.
Die Robben sind wie Menschenkinder
Jonny ist ein echtes Riesenbaby. 44 Kilo bringt er mit seinen neun Monaten schon auf die Waage, genug, um seine beiden älteren Halbschwestern Ally und Lucy im Seelöwenkindergarten ordentlich zu piesacken. „Die machen genauso viel Unsinn wie Menschenkinder“, sagt Tierpflegerin Yvonna Brand und seufzt. „Wenn ich sie ermahne, kann man ihnen an den Augen ablesen, dass sie erstmal darüber nachdenken, ob es Sinn macht, was ich da sage.“
Auch in einer anderen Ecke des Duisburger Zoos, bei der Gorilla-Patchworkfamilie geht es gerade zu wie im Affenhaus: Die Holländerin Safiri und ihre Schweizer Mitbewohnerin Vizuri zicken sich ordentlich an. Erst letzte Woche ist Momo, das rangniedrigste Weibchen, zwischen die Fronten geraten – und hat dabei gleich einen Finger verloren. „Normalerweise gibt’s von Mapema ein paar Watschen, wenn sich die Weibchen zu sehr streiten“, erzählt Pfleger Alex Nolte. Aber eigentlich hat der große Silberrücken nicht viel zu melden – kein Wunder bei gleich drei Frauen, mit denen er sich rumschlagen muss
Einen solchen Affenzirkus können sich die beiden Tapire Alfonso und Pepone nicht mal vorstellen. In ihrer südamerikanischen Männer-WG herrscht himmlische Ruhe. Pepone gammelt noch ein bisschen auf dem Strohbett herum, obwohl es längst Mittag ist. Vater Alfonso gönnt sich derweil eine ausgiebige Massage und rümpft vor lauter Verzückung den langen Rüssel, bis er fast zu grinsen scheint. Tierpflegerin Janet Scheiblich hat gerade das Essen vorbeigebracht – und nicht immer so viel Zeit.
„Dass ich die Robben nicht säugen musste, ist alles“
Es ist ein ganz normaler Tag im zoologischen Garten am Kaiserberg. Die Koalas pflegen ihre Starallüren, die Löwen schielen zwar zu den Besuchern herüber, begnügen sich dann aber doch mit ein paar Kilo Rindfleisch zum Mittagessen, und Yvonna Brand macht wie jeden Tag den Seelöwenkindergarten auf. Mit einem Eimer Fische sitzt die schlanke Blondine auf einem Felsen, die Jungtiere scharen sich um ihre Füße und blicken mit ihren treuen schwarzen Augen so erwartungsvoll nach oben, als würde im Kindergarten gleich die Vorlesestunde beginnen.
„Bei der Erziehung muss man wirklich konsequent sein.“
Eigentlich müsste der kleine Jonny „noch ausschließlich an der Milchbar hängen“, wie Yvonna sagt. Aber von seinen älteren Schwestern hat das Nesthäkchen unter den Kalifornischen Seelöwen schnell gelernt, dass man mit Essen spielen oder vielmehr das Spielzeug essen kann. In einem Extrabecken darf sich der Nachwuchs normalerweise in Ruhe mit dem Fisch vergnügen und quasi aus Versehen zwischendurch ein Stück verschlucken. Aber heute sitzt die ganze Familie mit am Tisch: Mandy, der „Wibbelfutt“, Jonnys Mama Gina, Sunny, die Diva, und auch der sensible Atze, der sich vor seinen streitenden Frauen gerne bei der Pflegerin versteckt.
Die Seelöwen vertrauen Yvonna blind
Yvonna kann tatsächlich die Gesichter ihrer Robben unterscheiden, aber jedes Tier hat auch einen eigenen Charakter, seinen eigenen Kopf. Die 58-Jährige ist Tierpflegerin, Erzieherin, Freundin – alles in einer Person. Die Seelöwen vertrauen ihr blind und Yvonna vertraut ihnen. Trotz des massigen Körpers und der gefährlich spitzen Zähne füttert sie selbst Papa Atze lässig mit der Hand, ohne auch nur hinzusehen. „Bei der Erziehung muss man wirklich konsequent sein“, erklärt die gebürtige Tschechin und ihr Ton lässt keinen Raum für Zweifel. „Auch so ein kleiner Jonny wiegt irgendwann 350 Kilo, und wenn er will, dann fegt er mich einfach weg.“
Seit knapp 30 Jahren schon arbeitet Yvonna im Zoo Duisburg, für den Seelöwennachwuchs ist sie wie eine zweite Mutter. „Dass ich die Robben nicht säugen musste, ist alles“, erzählt sie schmunzelnd. Seelöwenmama Sunny zeigte ihrem Baby nicht selbst, wie es aus dem Wasser zurück an Land kommt – sie schrie stattdessen nach Yvonna. Wenn die Milch zu sehr drückte, machte sie so lange Terz, bis Yvonna das Baby zum Trinken weckte. Und wenn der Nachwuchs im seichten Graben plantschte, musste Yvonna ihm am Ende wieder heraushelfen. Die Pflegerin schüttelt den Kopf. „Diese Tiere sind einfach einmalig!“
„…als würden die eigenen Kinder von zu Hause ausziehen“
Im Affenhaus hat Safiri das Sagen und die Gorillachefin duldet keine Widerworte – auch nicht vom imposanten Silberrücken Mapema. „Wenn Mapema eifersüchtig war und ihr das Baby geklaut hat, gab’s schon mal einen beherzten Griff in die Eier“, erzählt Tierpfleger Alex Nolte und lacht. Vor Fremden allerdings lässt der Affenmann gerne seine Muskeln spielen. Das erfährt der Stadtwerke-Duisburg-Fotograf am eigenen Leib, als er zu nah herankommt und ihn nur das stabile Gitter vor einem wuchtigen, drohenden Sprung schützt.
„Es ist eine richtige Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden.“
Mensch ist eben nicht gleich Mensch. Und was Alex Nolte darf, das darf längst nicht jeder. Genüsslich lässt sich der kleine Ayo von dem Tierpfleger den Bauch kraulen, hin und wieder langt die Hand des Vierjährigen durch den trennenden Zaun nach dessen Kinnbart. Ein eindeutiger Versuch – auch seinen tierischen Papa kitzelt Ayo gern. „Er zieht an seinen Haaren und lacht sich dann kaputt“, erzählt Alex. „Das ist so eine richtige Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden.“
Irgendwie gehört auch Alex zur Patchworkfamilie. Vielleicht ist er für die Gorillas der schräge Onkel, der zwar ein bisschen merkwürdig aussieht, eben eher rosa als schwarz, ansonsten aber harmlos ist und immer Leckereien mitbringt. Schon seit 2005 arbeitet der 45-Jährige im Affenhaus, alle vier Jungtiere im Gehege hat er aufwachsen sehen, manchen Gorilla musste er über die Jahre auch verabschieden. „Wenn wir einen von ihnen in einen anderen Zoo abgeben, ist es, als würden die eigenen Kinder von zu Hause ausziehen“, sagt er. „Aber wir betreiben Arterhaltung, da muss man sich trennen können.“ Die Leichtigkeit nimmt man der Frohnatur trotzdem nicht so recht ab. Bisher jedenfalls hat Alex es noch nicht übers Herz gebracht, einen seiner alten Schützlinge zu besuchen. „Die haben jetzt eine neue Familie.“
„Auch Tiere haben Gefühle“
Pepone hat seiner Trauer freien Lauf gelassen vor vier Jahren, als seine Mutter starb. Gerade erst fünf war der junge Tapir damals. „Ununterbrochen hat er die Mama gerufen, hat sie vermisst“, erzählt Tierpflegerin Janet Scheiblich, die den Kleinen seit seiner Geburt kennt. „Mit Haferflocken, die wir versteckt haben, haben wir versucht, ihn abzulenken.“ Wenn sie daran denkt, ist der 31-Jährigen ihre Betroffenheit immer noch anzusehen. „Auch Tiere haben Gefühle“, sagt sie.
„Ununterbrochen hat er die Mama gerufen, hat sie vermisst.“
Zum Glück war da noch Papa Alfonso im Gehege, „ein ganz ruhiger, lieber Tapirmann“, findet Janet. In freier Natur sind Tapire, deren plumpe Körper ein bisschen an Schweine mit lustigen, langen Rüsseln erinnern, eigentlich Einzelgänger. „Normalerweise hätte der Vater Pepone verbissen, die sagen regelrecht ,hau ab‘“, weiß die Blondine, die seit ihrem Ausbildungsbeginn im Jahr 2004 im Zoo Duisburg arbeitet. Aber es kam ganz anders: Vater und Sohn sind bis heute unzertrennlich, morgens kuscheln die beiden gerne im Stall, und wenn Alfonso seinen Jungen zu lange alleine lässt, quietscht der so lange, bis der Papa kommt. Dabei ist Pepone mit seinen über hundert Kilo inzwischen längst erwachsen.
Hin und wieder stänkern die beiden Tapire ein bisschen, aber richtigen Streit gibt es in der ungewöhnlichen Männer-WG eigentlich nie. Nur wenn Janet mit einem großen Eimer Gemüse vorbeikommt und ein paar ausgiebige Streicheleinheiten verteilt, dann merkt man eben doch, dass manchmal eine Frau im Haus fehlt.