Digital-Pioniere der ersten Stunde
Die Veranstaltungsseiten der Tageszeitung durchforsten, im Telefonbuch blättern, Kinos abtelefonieren (aber nicht so lange, das wird zu teuer!): So sah Freizeitplanung Anfang der neunziger Jahre aus – bevor es das Internet für jedermann gab. „Um in Mülheim herauszufinden, was in Essen los war, musste man zum Bahnhof fahren und sich eine Zeitung kaufen“, erinnert sich Holger Ruhfus. „Diese Kleinstaaterei des Ruhrgebiets war damals schon nervig.“ So jedenfalls empfand es Alexander Kranki und wurde kurzerhand zum Pionier einer ganz neuen Digitalbranche.
„Anfangs haben wir die Kinos dafür abtelefoniert, dann haben die Kinobetreiber ihr Programm per Fax geschickt oder sogar Postkarten geschrieben.“
Der gelernte Maschinenbauer gründete 1995 das Unternehmen Krankikom, schon ein Jahr später – noch bevor das Web in Deutschland verfügbar wurde – entwickelte die Firma mit Ruhronline ein Veranstaltungsportal für das Ruhrgebiet. Heute ist Krankikom die führende Digitalagentur der Region: mit 90 Mitarbeitern und sieben Millionen Euro Jahresumsatz. Vieles, was im Internet längst selbstverständlich ist, hat das Unternehmen auf den Weg gebracht. Inzwischen benutzt wohl nahezu jeder Duisburger die von der Agentur entwickelte Software, die Datenbanken und Websites, manchmal sogar mehrmals am Tag.
Kinoprogramm in Handarbeit
Den ersten großen Wachstumsschub für das Start-up mit vier Mitarbeitern und einem Atari-Computer brachte das von Krankikom veröffentlichte bundesweite Kinoprogramm: Erstmals gab es einen Kino-Veranstaltungskalender mit 99 Prozent der Vorstellungen in Deutschland, wöchentlich aktualisiert und per Website oder Telefonansage verfügbar. „Anfangs haben wir die Kinos dafür abtelefoniert, dann haben die Kinobetreiber ihr Programm per Fax geschickt oder sogar Postkarten geschrieben“, erzählt Holger Ruhfus, der 1997 ins Unternehmen eintrat, und lacht. Doch das Online-Kinoprogramm war so erfolgreich, dass es sich bis heute hält. „Es ist natürlich nicht mehr so viel Handarbeit wie früher“, sagt Ruhfus.
50.000 Tickets auf einen Schlag
Inzwischen macht die Kinobranche beinahe die Hälfte des Umsatzes von Krankikom aus. Cineplex Deutschland, die UCI Kinowelt und große britische Ketten gehören zu den Kunden. In Großbritannien und Irland schrieb Krankikom Geschichte, als im Jahr 2002 plötzlich erstmals Kinotickets mit grafischer Platzauswahl bequem am heimischen Computer buchbar waren. Auch für das Stadtwerke Sommerkino wickelte das Unternehmen in den vergangenen Jahren den Kartenvorverkauf ab – eine technische Meisterleistung. „Hier gehen 50.000 Tickets in den Vorverkauf und sind fast alle mit einem Schlag ausverkauft“, weiß Holger Ruhfus, einer von vier Geschäftsführern bei Krankikom. „Das ist wie bei einem Rockkonzert. Da gehen selbst große Ticketing-Dienstleister schon mal in die Knie.“
Branchenfremden ist das Geschäftsmodell der Duisburger nicht leicht zu erklären. „Wir sind ziemlich einzigartig aufgestellt als eine Mischung aus Werbeagentur und Systemhaus, das Prozesse optimiert“, sagt Ruhfus und wirft einen Blick auf seine Smartwatch. Simpel ausgedrückt: Krankikom macht das digitale Leben einfacher – für Unternehmen und Endkunden.
Wohlfühl-Unternehmenskultur
Dabei hat die Firma viel vom Vibe der lässigen Internet-Pioniere: Ein Billardtisch und ein Kicker, auf der anderen Seite des Flurs das neue Kaminzimmer, in den Großraumbüros Sitzsäcke und „Telefonzellen“, die wie winzige Wohnzimmer im Retro-Look gestaltet sind – der neue Firmensitz am Innenhafen, den das Unternehmen Ende 2019 bezogen hat, erinnert ein wenig an die Wohlfühl-Unternehmenskultur, die man sonst eher mit den Tech-Giganten des Silicon Valley assoziiert. Neben maßgeschneiderten Kino-Websites gehört eine Mitarbeiter-App für die interne Unternehmenskommunikation ebenso zum Produktportfolio wie E-Learning-Software und Content- Management-Systeme. Online- Marktplätze zum Beispiel für den Ankauf von Gebrauchtwagen werden entwickelt, aber auch digitale Lösungen für die Verkehrs und Logistikbranche, die es beispielsweise Spediteuren erlauben, den Weg eines Containers in einem Rutsch durch zu buchen – vom Lkw auf den Zug und schließlich ein Schiff.
„Bei unseren Kunden sprechen wir in vielen Fällen über Geschäftsprozesse, die über die Website als simplen Flyer im Internet hinausgehen“, erklärt Ruhfus. „Wir kennen uns mit Usability, Online-Kommunikation und Prozessen aus und bieten einen Mix aus technischem Konzept, Beratungs- und Kommunikationskonzept.“ Zum Glück muss der Geschäftsführer heute niemandem mehr erklären, wie nützlich das Internet in vielen Bereichen unseres Lebens ist. In den Anfangsjahren von Krankikom war das noch anders. „1997 war das WWW in Deutschland noch sehr fremd. Damals mussten wir unsere Kunden erstmal davon überzeugen, dass sie das Internet brauchen“, sagt Ruhfus. Kaum vorstellbar, dass der Flughafen Düsseldorf beispielsweise bis in die neunziger Jahre hinein seinen Flugplan in einem einfachen Word-Dokument pflegte und erst 1998 als erster deutscher Airport überhaupt eine vollständig datenbankbasierte Website hatte, entwickelt von Krankikom.
Dass solche Netz-Innovationen ausgerechnet aus Duisburg kommen, macht inzwischen kaum jemanden stutzig. Nur einmal schaute ein Vertreter der britischen UCI Cinemas vorbei, als der Vertrag eigentlich längst in trockenen Tüchern war. Holger Ruhfus ist überzeugt: „Der wollte nur mal gucken, ob wir eine richtige Firma sind.“ Vorurteile gebe es tatsächlich eher unter Kunden aus dem Ruhrgebiet. „Die wollen immer Agenturen aus Hamburg“, sagt Ruhfus und schmunzelt.
„Um in Mülheim herauszufinden, was in Essen los war, musste man zum Bahnhof fahren und sich eine Zeitung kaufen.“
Dabei ist der Standort Duisburg für Krankikom perfekt: zentral gelegen, mit vergleichsweise günstigen Mieten und Immobilienpreisen und gleich vier Universitäten in der Region, die neue potenzielle Mitarbeiter ausbilden. Umgekehrt profitieren auch die Duisburger vom kurzen Draht zur Digitalagentur. Im Frühjahr 2020 rief die Feuerwehr bei Krankikom an: 20 Container mit Corona-Tests waren bestellt, und die sollten schnellstmöglich in den Testzentren zur Anwendung kommen. „Übers Wochenende haben wir die zentrale Website für die Terminbuchung programmiert und in der Woche danach das Backend für die Teststellen“, erzählt Holger Ruhfus nicht ohne Stolz.
Arbeiten mit Blick aufs Wasser
Für die Motivation der Mitarbeiter jedenfalls tut das Unternehmen viel. Hier und da flackert über einen der Computerbildschirme im modernen Glas- und Betonbau eine grüne Matrix, in den Bücherregalen stehen Design-Handbücher. Trotzdem wirken die Büros wohnlich mit den flauschigen Teppichen unter den Schreibtischen, den Fahrrädern, die an der Wand lehnen, und den Bobbycars unter der Treppe. Es gibt keinen Arbeitsplatz, von dem man das Wasser nicht sehen kann. Der riesige Aufenthaltsraum, den die Mitarbeiter auch für private Feiern nutzen dürfen, bietet sogar eine Bar und eine voll ausgestattete Küche, auf drei Seiten eröffnen die Fensterfronten den Blick über Duisburg. Voraussichtlich bis zum Sommer werden die Stadtwerke zudem eine Photovoltaikanlage auf dem Dach installieren, die nach Möglichkeit auch die neuen Ladesäulen für E-Autos und -Bikes versorgen soll.
„Es muss einfach nicht sein, dass man sich über ein doofes Büro ärgert“, sagt Holger Ruhfus über diese Annehmlichkeiten. Viele Regeln gibt es bei Krankikom deshalb nicht. Nur die zentrale Kaffeemaschine in der Küche ist Pflicht. „Die Leute sollen mal miteinander reden und auch ihren Chef treffen.“ Selbst der hat bei Krankikom übrigens kein Einzelbüro.