Die Brücke, die Stadt und die Menschen
Die Friedrich-Ebert-Brücke verbindet Homberg mit Ruhrort. Und irgendwie ist dieses Bauwerk sinnbildlich für den Charakter Duisburgs. Überqueren Fußgänger die Brücke, dann eröffnet sich ein urtypischer Blick auf die Stadt.
Von der Homberger Seite aus gesehen, erhebt sich rechts aus der grünen Auenlandschaft die Rheinorange. Das Kunstwerk steht am Zusammenfluss der Flüsse Rhein und Ruhr – den Lebensadern der Stadt. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Der Hafen boomt. Schifffahrt und Logistik sind wichtiger denn je. Und was ist mit der Industrie? Ja, auch sie ist von der Friedrich-Ebert-Brücke zu sehen. Nicht weit hinter dem Ruhrorter Brückenkopf, wo noch die alten Zolltürme stehen, erhebt sich das Stahlwerk von ThyssenKrupp. Trotz Strukturwandel ist nicht alles verschwunden, was das Ruhrgebiet und Duisburg einst prägte. Die Schlote des Hüttenwerks dampfen noch immer – der Qualm ist allerdings weißer, sauberer als zu Zeiten der Ruhrbarone.
60 Jahre Friedrich-Ebert-Brücke
Unterhalb der Brücke liegt direkt am Rheinufer die Mühlenweide. Dort und rings um die Brücke tummeln sich die Menschenmassen, wenn die Pyrotechniker das Feuerwerk bei Ruhrort in Flammen abfackeln. Ohne das Event machen sich Menschen auf der Brücke rar. Einige Autos rollen darüber, aber längst nicht so viele wie auf der Brücke der Solidarität zwischen Rheinhausen und Hochfeld. Vergangenes Jahr feierte die Brücke ihren 60. Geburtstag. Damit ist sie nicht viel älter als der Mann, der sich darum kümmert, dass mit ihr alles in Ordnung ist. Günter Volkgenannt (Foto) ist Ingenieur und prüft für die Wirtschaftsbetriebe Duisburg die Brücken der Stadt. Ende der 1990er Jahre, erzählt der 63-Jährige, habe der ehemalige Dezernent für Stadtentwicklung Jürgen Dressler den technischen Bereich abgegeben. Seitdem kümmern sich die Wirtschaftsbetriebe um Duisburgs Brücken. Und wenn er über seinen Beruf spricht, dann ist in seinen Augen ein Funke der Begeisterung auszumachen. Nach dem Studium in den 1980er Jahren arbeitete er rund zehn Jahre in einem Ingenieurbüro. Damals berechnete er alles noch selbst. Dann kamen die Computer. Sie übernahmen die Rechenarbeit für ihn. „Den ganzen Tag vor einem Bildschirm sitzen, das wäre nicht mein Ding gewesen“, sagt Günter Volkgenannt. Seit 1991 ist er bei der Stadt. Der neue Job brachte Theorie und Praxis wieder ins Gleichgewicht.
Keine Hängebrücke
Prüft er eine Brücke, dann ist er draußen an der frischen Luft. Das gefällt ihm. Die Friedrich-Ebert-Brücke, so sehr er sich auch für die vielen technischen Details begeistern kann, ist für ihn aber ein Bauwerk wie jedes andere.
Was es aber einzigartig macht, das verschließt sich seinem Blick nicht. „Jede Brücke muss man nehmen, wie sie ist“, sagt er. Die Friedrich-Ebert-Brücke ist eine ügelgurtbrücke.
Die Tragseile leiten ihre Druckkräfte in den Überbau der Fahrbahnträger und nicht in die Ankerblöcke. Deswegen sprechen Fachleute hier auch von einer unechten Hängebrücke. Es sind Stahl, Schweißnähte und Bolzen, die die Brücke zusammenhalten. Alle drei Jahre besucht Günter Volkgenannt die Friedrich-Ebert-Brücke für eine Prüfung. Die Hauptprüfung ist alle sechs Jahre fällig. Das heißt: „Ich muss jedes Bauteil handnah überprüfen“, sagt der Ingenieur. Eine Arbeit, die sich über Monate zieht. In den 1990er Jahren entdeckte er bei einer dieser Prüfungen im Steg – quasi dem Unterbau der Friedrich-Ebert-Brücke – Beulen. Die Sanierung begann 1999. Und so mancher Duisburger wunderte sich damals, warum er denn gar keine Arbeiter auf der Brücke sah.
40 Millionen Euro für die Sanierung
Das lag daran, dass die Arbeiten unter der Brücke und im Inneren vonstattengingen. Die Arbeiter bewegten sich durch die Hohlkästen, die normalen Menschen in der Regel verborgen bleiben. Die Fahrspuren sperrte die Stadt nur, weil dort Material und Maschinen gelagert wurden. Auch die Vormontage bestimmter Bauteile erledigten die Arbeiter auf der Brücke. Über die Bauzeit von rund vier Jahren waren insgesamt 100 Menschen an den Arbeiten beteiligt. 40 Millionen Euro kostete die Sanierung. 2003 war sie dann abgeschlossen. Heute müssen sich aber immer noch Arbeiter regelmäßig durch die engen Hohlkästen zwängen. Einer von ihnen ist Cebrail Ekinci. Der 28-Jährige ist Industriemechaniker und kümmert sich neben den Brücken unter anderem auch um Brunnen und Friedhöfe.
Wenn er in den Untergrund hinabsteigt, dann öffnet er eine der roten Luken auf der Brücke. Für sie gibt es extra eigene
Hebewerkzeuge, die in einem Lagerraum am Ruhrorter Brückenkopf verstaut sind. Alle drei bis vier Monate muss er mit seinen Kollegen die Luftentfeuchtungsanlage im Inneren der Brücke prüfen und die Filter wechseln. Auch bei den Brückenbesichtigungswagen muss er nach dem Rechten sehen. Die blauen Ausläufer dieser beweglichen
Arbeitsbühnen sehen Fußgänger, wenn sie sich ein wenig über die Brüstung der Friedrich-Ebert-Brücke beugen. „Wenn sie im Notfall gebraucht werden, dann müssen sie funktionieren“, sagt Cebrail Ekinci. Und dass sie funktionieren, darum kümmert er sich.
Notfall unter der Brücke
Vor ungefähr zwei Jahren kam es zuletzt dazu, dass sie für einen Notfall gebraucht wurden. Ein Schiff rammte mit seinem Ausleger die untere Seite der Brücke. Der Kapitän unterschätzte das Hochwasser, wodurch der Pegel des Rheins angestiegen war. Mit seinem Schiff riss er Versorgungskabel und Leitungen ab, die unter der Brücke
über den Rhein führen. Die Brücke erzählt die Geschichte von vielen Menschen, aber sie hat auch eine eigene Geschichte. Die ersten Überlegungen für den Bau einer
Brücke gab es bereits 1872. Die Pläne nahmen aber erst einige Jahrzehnte später Gestalt an. 1903 wurde aus der Idee, eine Brücke zu bauen, die Homberg und Ruhrort
verbindet, langsam ein konkretes Projekt. Die beiden Gemeinden gründeten dann eine „Rheinbrücken-Betriebsgesellschaft“. Das war 1905. Um das Bauvorhaben zu finanzieren, beschlossen die Verantwortlichen, für die Überquerung ein Brückengeld zu verlangen. Und dann dauerte es auch nicht mehr lange, bis sich die erste Brücke an dieser Stelle über den Fluss zog.
Die Fachwerkkonstruktion mit einer Länge von 625,8 Metern weihten die Menschen in Ruhrort und Homberg am 19. Oktober 1907 ein. Die Brücke ist damit eine der ältesten
Straßenbrücken der Stadt, die über den Rhein führt. Fast drei Jahrzehnte sollte die Brücke aber noch ohne einen Namen bleiben. Erst unter dem nationalsozialistischen
Oberbürgermeister Ernst Kelter taufte man sie auf „Admiral-Scheer-Brücke“. Der Name passte zum kriegerischen Zeitgeist. Reinhard Scheer war im deutschen Kaiserreich Admiral der Hochseeflotte und Befehlshaber in der Schlacht gegen die Engländer am Skagerrak 1916. Aber lange sollte die Brücke seinen Namen nicht tragen. Die Wehrmacht sprengte sie in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs. Ihr unrühmliches Ende fand sie am 3. März
1945. Die Wehrmacht wollte so die vorrückenden amerikanischen Streitkräfte daran hindern, den Rhein zu überqueren.
Kein Stahl nach dem Krieg
Der Neubau nach dem Krieg verzögerte sich. Der Grund: Es fehlte an Stahl. Bis Anfang der 1950er Jahre folgte also eine
brückenlose Zeit. Der Bau stellte die Planer aber auch vor neue Herausforderungen. Der Verkehr auf dem Rhein hatte seit dem Bau der ersten Brücke spürbar zugenommen. Auf den dritten Strompfeiler verzichtete man daher. Am 18. Dezember 1954 übergab die Stadt die Brücke dem Verkehr und taufte sie auf den Namen Friedrich Ebert. Hier schließt sich auch der historische Kreis. Admiral Scheer trat mit dem Ende des Kaiserreiches zurück. Es kam zur Geburtsstunde
der Weimarer Republik. Friedrich Ebert wurde kurz danach von der Nationalversammlung zum ersten Reichspräsidenten gewählt. Das ist die große Geschichte, die sich um die Friedrich-Ebert-Brücke
rankt. Eine kleinere Geschichte handelt von Gerhard Stratenwerth. Er war der erste normale Bürger, der die Brücke überquerte.
An die Geschichte seines verstorbenen Vaters erinnert sich heute noch Reinhard Stratenwerth. Der 76-Jährige ist Archivar
des Vereins Freundeskreis Historisches Homberg. Damals war er 16 Jahre alt, als sein Vater das Wohnzimmer betrat. Es war
Herbst 1954 und Gerhard Stratenwerth sagte: „Ich gehe jetzt nach Ruhrort.“ Mutter Hanne, Bruder Winfried, Schwester Hannelore und auch Reinhard Stratenwerth staunten nur. Schließlich war die Brücke noch gar nicht fertiggestellt, ein Spaziergang auf die andere Rheinseite daher unmöglich.
Im Stile des Hauptmanns von Köpenick
Doch Gerhard Stratenwerth hatte sich die Sache nun mal in den Kopf gesetzt. „Das kann etwas dauern, aber auf die andere Seite komme ich“, sagte er seiner Familie. Der Schalk saß dem Vater im Nacken und er hatte sich einen Trick überlegt. Wie der Schuhmacher Wilhelm Voigt die preußischen Soldaten in der Uniform eines Hauptmannes täuschte, setzte Gerhard Stratenwerth auch auf die Autorität, die Kleidung ausstrahlen kann. Ob er deswegen als ein Duisburger Hauptmann von Köpenick bezeichnet werden kann, das mag dahingestellt sein. Aber Tatsache war, dass er sich in seinen feinsten Zwirn geworfen hatte. Er trug den besten Anzug, einen schweren Mantel, Hut und Krawatte.
Als Rechnungsprüfer bei Rheinpreußen war er gewohnt, gute Kleidung zu tragen, aber so wie an diesem Tag ging er nur selten vor die Tür. Der groß gewachsene Mann schlenderte in diesem Aufzug zur Brücke. Er zögerte nicht, sondern ging einfach hinüber, als ob es alltäglich wäre. Die Arbeiter auf der Brücke waren mit dem letzten Teil der
Brücke beschäftigt. Bald sollte sie fertig sein. Das letzte Stück – einen Spalt von 20 Metern – überbrückten die Arbeiter mit einer wackligen Hängebrücke. So konnten sie
sich frei von der einen auf die andere Seite bewegen. Das letzte Brückenteil sollte später eingeschwommen werden. Den normalen Bürgern war es aber verboten, über die
Brücke zu gehen – aus Sicherheitsgründen. Davon ließ sich Rechnungsprüfer Gerhard Stratenwerth aber nicht aufhalten. Selbstbewusst setzte er einen Schritt vor den anderen. Die Arbeiter guckten, aber keiner wagte es, ihn aufzuhalten. „Sie haben wohl gedacht, das wäre ein Ingenieur oder ein
anderes hohes Tier, der sich über den Stand der Arbeiten informieren will“, vermutet Reinhard Stratenwerth. Sein Vater kam zur Hängebrücke. Ihn aufzuhalten oder gar zu
fragen, wer er sei und was er hier wolle, daran dachte keiner auf der Brücke. Ein Mann hielt sogar noch das Tor auf, das die Hängebrücke vom Rest trennte, und sagte: „Bitte schön, Herr Doktor.“ In Ruhrort angekommen, ging Gerhard Stratenwerth bis zum Friedrichsplatz. Auf einen kurzen Abstecher kehrte er im Café Kurz ein und drehte dann
wieder um. Auf dem Rückweg folgte dann das gleiche Spielchen. Nach drei Stunden kehrte Gerhard Stratenwerth mit einem Grinsen auf dem Gesicht zurück zu seiner Familie und erzählte seine Geschichte. Und wenn sein Sohn heute die Brücke sieht, dann denkt er oft an den Trick seines Vaters. Er und all die anderen Menschen sind
es, die aus Stahl, Schweißnähten und Bolzen ein lebendiges Bauwerk machen. Und sicherlich sind es nicht die letzten Geschichten, die die Friedrich-Ebert-Brücke noch über Duisburg erzählen wird.