Riesenanker aus Neudorf
Auf der Wildstraße fügt sich zusammen, was Kreuzfahrtriesen und kleine Kähne an die Kette legt. Containerschiffe und Yachten sind ausgerüstet mit den Ankern der Duisburger Kettenfabrik d’Hone. Made in Duisburg, auf allen sieben Weltmeeren an Bord. „Eine Vielzahl der Hochseeschiffe weltweit hat einen Klippanker von uns“, sagt Eigentümer Dr. Volker Domagala. Die Aida-Flotte nutzt die spezielle Technik. Und die Meyer-Werft vertraut ebenfalls auf die Haltekraft des d’Hone-Spezial. So heißt der Markenartikel, der auf Flüssen, Seen oder auch in den Seehäfen mächtigen Schiffen die notwendige Bodenhaftung gibt. Samt den Ketten, die es für die Verbindung zwischen Anker und Schiff braucht.
Über 100 Jahre Tradition
Hätte man das gedacht? Nie im Leben. Nicht mal auf den zweiten Blick durch eine unscheinbare Toreinfahrt der Kettenfabrik. Auf dem schlauchartigen Hof rangiert sich gerade ein Sattelschlepper aus Holland die Seele aus dem Getriebe. Schiffsanker sind mächtig. Entsprechend groß sind die Gefährte, die sie abholen.
Die flachen Bauten der Fabrik rahmen die lange Fahrspur ein. Wer genau hinschaut, sieht drei mächtige Stahlgeräte ineinander verschlungen in einer Ecke stehen. Für Kunstwerke möchte man die schwarzen Skulpturen halten. Der Wissende erkennt: Es sind drei Anker, jeder knapp zehn Tonnen schwer, geschmiedet und geschweißt für Hyundai in Südkorea. Einem Schiff, das Autos übers Meer trägt, sollen sie einmal Halt im sicheren Hafen geben. Nein, mit der geschwungenen Ankerromantik, die Oberarme als Tattoos zieren, haben diese Kolosse nur wenig gemein. Eckig und kantig wirken die riesen. Eingehüllt in eine „Haut aus Bitumen“, die Schutzschicht gegen das rostheischende Meerwasser. Dass diese Anker so schlicht aussehen, ist Teil von Volker Domagalas Familiengeschichte. Sein Vater entwickelte in den 1960er Jahren diese speziellen Klippanker, die wenig malerisch aussehen, dafür umso größere Haltekraft besitzen. Gemeinsam übernahmen Vater und Sohn vom ehemaligen Eigentümer Erich d’Hone die 1896 gegründete Fabrik. Der Kauf im Jahr 1990 erfüllte in gewisser Weise einen Kindheitstraum. Der promovierte Kaufmann ist direkt neben dem Betriebsgelände aufgewachsen. Als der kleine Junge einmal gefragt wurde, was er werden möchte, da hat er gesagt: „Chef der Kettenfabrik.“ Über 20 Jahre dauerte es, bis die Vorhersage eintraf. Der Name des Gründers d’Hone blieb erhalten. Eine fast 100-jährige Tradition wischt man nicht mit einem Eintrag ins Firmenregister weg. Erst recht nicht, wenn diese Tradition in Stahl geschmiedet ist.
30 Mitarbeiter arbeiten bei d’Hone in Neudorf. Schmiede, Schlosser und natürlich Kaufleute, denn die Anker aus Duisburg wollen auch an den Mann und dann später ans Schiff gebracht werden. Konkurrenz gibt es durchaus, zum Beispiel in China. Es gibt ja immer Konkurrenz aus China. Was die Duisburger „über Wasser“ hält ist die besondere Qualität. Er ist eben sehr speziell, der d’Hone-Spezial. Nicht als Stück gegossen, sondern geschmiedet und geschweißt aus Thyssen-Stahl, weil’s besser ist: Bis zu 180.000 Tonnen Zugkraft muss ein solches Stahlstück aushalten. ohne dass die Kette reißt. ohne dass der Anker bricht. Das klappt mit dem Klippanker!
Freilich, der Unbedarfte ist nicht allein, wenn er staunt, wie fest verankert Duisburg ist. Volker Domagala berichtet vom Zweifel der Branchenkenner: „Einmal verweigerte eine deutsche Werft die Annahme einer Lieferung von uns. Der Grund: Es lägen keine Zollpapiere vor. Die wollten gar nicht glauben, dass das Stück aus Deutschland kommt.“ Ein anderes Mal sagte sich ein Kunde zu einem kurzfristigen Besuch an. Er wollte sich persönlich überzeugen, dass die bestellten Anker wirklich in diesem Hof in Neudorf produziert werden. Dabei handelt es sich keineswegs um Unikate: Etwa 20.000 Anker wurden bei d’Hone in den vergangenen 40 Jahren gefertigt. Um Wertobjekte handelt es sich gleichwohl: Bis zu 25.000 Euro kann ein 10-Tonnen-Koloss kosten.
Vieles ist bis heute Handarbeit. Manches lässt sich selbst mit modernster Technik nicht besser machen. Der schwere Schmiedehammer, der auf die über 1.000 Grad vorgeglühten Knüppel niedersaust, ist mehr als 100 Jahre alt. Eine Tonne Stahl hämmert rhythmisch auf das heiße Material. Männer, die den Stahl zu schmieden wissen, bringen das Mittelstück, den sogenannten Schaft, in die gewünschte Form. Die sogenannten Flunken, die beiden beweglichen Zähne, die sich später in den Meeresboden graben sollen, werden nach genauer Vorgabe aus dem Stahl geschnitten. Jetzt allerdings mit computergesteuerten Brennern. Aufgesetzt werden die Flunken auf einer Grundplatte. Der besondere Kniff: Der Schaft ist schwenkbar um genau 40 Grad. So ergibt sich ein optimaler Winkel beim haltenden Griff in den Meeresboden. Das ist der Klipp des Ankers. Der d’Hone-Spezial darf 25 Prozent leichter sein als ein Modell anderer Bauart. Von besonderer Bedeutung ist der Kugelgelenkwirbel, der über ein Gelenkstück das Mittelteil mit der Kette verbindet. Er stellt sicher, dass der Anker in alle Richtungen beweglich bleibt und bei der Bewegung des Schiffes nicht unnötig Kräfte auf die sensible Verbindung einwirken.
Qualität aus Duisburger Stahl
Volker Domagala erzählt mit spürbarer Begeisterung, wie sich Stahl in ein unentbehrliches Stück für den Schiffsbau verwandelt. Er berichtet, dass Stahl hart und zugleich flexibel ist, und davon, dass für bunt bemalte Schiffsrümpfe die Farben der Anker angepasst werden. Damit sie gut aussehen, wenn sie auf Kreuzfahrt in die Ankertaschen rauschen. Als Kaufmann weiß er freilich auch von anderen Wellenbewegungen zu berichten. Das Werftwesen ist ein sturmumtostes Geschäft. Viele deutsche Schiffsbauer mussten bereits passen. Damit brachen dann auch Absatzchancen für die Kettenfabrik weg. Auf der anderen Seite: Der Stahl kommt von Thyssen (aus Duisburg) und die Konjunktur in der Schwerindustrie ist ebenfalls Zyklen unterworfen. Der Preis für die Tonne Stahl kann erheblich schwanken. Um im Bild zu bleiben. Die Kettenfabrik in Duisburg trotzt allen rauen Wirtschaftswassern. Dank bester Qualität und dank der tragenden Teile für die Hebetechnik an Kränen, eines anderen Produktionszweigs der Kettenfabrik.
Aber das ist weniger seefahrerromantisch. Und bringt nicht den Armin von der „Sendung mit der Maus“ auf die Wildstraße nach Neudorf. Der WDR drehte vielmehr einen „So funktioniert ein Anker“-Film eben da, wo man genau weiß, wie so ein Anker funktioniert in den Werkstätten von d’Hone. Und so findet man sich auch auf dem Titel eines Taschenbuchs wieder. Der rororo-roman „Die Elemente“ von Harry Mulisch zeigt ein Schiffsbild mit einem d’Hone-Spezial. Volker Domagala sieht so etwas sofort: „Wenn ich Schiffe sehe, frage ich mich automatisch: ist der Anker von uns?“ Und meist lautet die Antwort: „Ja, das ist er.“ Da staunt der Laie. Aber der Fachmann wundert sich keineswegs.