Auf der Suche nach dem Drehort
Rolf Viehrig will gerade erzählen, wie er zum Film kam, als sein Handy vibriert. Der 51-Jährige schaut aufs Display. „Das ist jemand von der Produktionsfirma“, sagt er. „Da muss ich mal rangehen.“ Es folgt ein kurzes Telefonat. „Ich habe noch eine Option für einen Schauplatz“, erklärt Viehrig seinem Gesprächspartner. „Das kläre ich ab und melde mich bei dir.“
Solche Telefonate führt der Duisburger ständig. Filmproduzenten rufen ihn an, sobald sie ein Drehbuch haben. Dann macht sich Viehrig auf die Suche – nach dem passenden Schauplatz. Er durchforstet seine Datenbank, schaut sich mit den GoogleDiensten Orte aus der Luft an und klingelt, wenn es sein muss, an Haustüren. Hat Viehrig den passenden Ort gefunden, holt er die Drehgenehmigung ein. Das gehört zum Job eines Locationscouts dazu. Wobei Viehrig diesen Ausdruck kaum benutzt. „Ich bezeichne mich lieber als Motivsucher“, sagt er. Der Duisburger Rolf Viehrig ist Locationscout. Wenn ein Drehbuch geschrieben ist, beginnt seine Arbeit. Auf der Suche nach dem Drehort.
Der Videorekorder war schuld
Seit mehr als zehn Jahren macht Viehrig diesen Job schon. Im Filmgeschäft ist er bereits länger. „Ich war schon immer ein großer Cineast“, sagt der Motivsucher. Es fing bereits 1974 an, als sein Vater einen Videorekorder kaufte. Der kleine Rolf entdeckte „Spiel mir das Lied vom Tod“ für sich, das Meisterwerk von Sergio Leone. Er träumte davon, selber Filme zu produzieren.
„Ich bezeichne mich lieber als Motivsucher.“
Doch nach dem Abitur studierte Viehrig zunächst Wirtschaftswissenschaften. „Ich habe parallel dazu gejobbt“, sagt er. „Man musste damals in Duisburg nur auf der Straße stehen, und schon hatte man einen Job in der Filmbranche.“ Viehrig chauffierte auch Schauspieler zu den Drehorten. Es war Anfang der 1990er-Jahre, als Günter Lamprecht zu ihm ins Auto stieg. Der Berliner, der damals den Tatort-Kommissar Franz Markowitz spielte, plauderte mit Viehrig und sagte den bemerkenswerten Satz: „Als Schauspieler muss man immer nett sein zu den Fahrern, die werden schnell zu Filmproduzenten.“ Lamprecht behielt recht. Viehrig arbeitete sich in der Filmbranche hoch. Bald stand er als Aufnahmeleiter am Set. Da Viehrig auch die Schauplätze für die Produktionen auswählte, spezialisierte er sich auf die Motivsuche. „Der Job macht Spaß, weil man komplett in die Entwicklung eines Films involviert ist“, sagt der Mann mit den schulterlangen Haaren. Zudem kommt er rum. Für das Pferdeabenteuer „Wendy 2“ tourte Viehrig durchs Rheinland auf der Suche nach einem Apfelbaum auf einem Berg. Er reiste nach Kenia, um Schauplätze für den Kinderfilm „Supa Modo“ auszukundschaften.
Bolzplatz vor Industriekulisse
Manchmal findet Viehrig vor der eigenen Haustür, was er braucht. So erhielt der Duisburger kürzlich einen Anruf aus San Francisco. Ein Produzent wollte einen Werbespot mit Fußballstar Mario Götze drehen. Die Vorstellungen waren speziell: Götze sollte auf einem Bolzplatz vor einer Industriekulisse kicken – am liebsten zwischen zwei Hochöfen. „Kein Problem“, sagte Viehrig und schilderte dem verdutzten Mann aus Kalifornien die Vorzüge des Landschaftsparks Nord. Der Götze-Spot entstand also in Duisburg.
„Hier in der Stadt haben wir viele gute Drehorte“, sagt Viehrig. Was fehlt, sind die großen Produktionsfirmen. Das spricht gegen Duisburg. In Köln können Kameraleute, Tontechniker und Schauspieler „Ich bezeichne mich lieber als Motivsucher.“ Rolf Viehrig nach dem Drehtag im eigenen Bett schlafen. Geht es nach Duisburg, müssen Hotelzimmer für die Crew gemietet werden. „Am Ende geben häufig die Kosten den Ausschlag“, sagt Viehrig. Er will heute aber noch Orte in seiner Heimatstadt zeigen, an denen zuletzt Filmszenen entstanden. Viehrig zupft sein blaues Hemd zurecht, steckt das Handy in die Stoffhose und läuft zu seinem BMW. Im Auto begrüßt ihn der Bordcomputer mit den Worten „Willkommen, Mister President!“. Viehrig schmunzelt: „Das ist ein Gag wegen meines Postens.“ Er ist Präsident beim Bundesverband Locationscouts, einer Interessenvertretung der rund 60 deutschen Motivsucher. „Wir wollen die Akzeptanz unserer Arbeit bei Filmproduktionen und Motivgebern festigen“, erklärt Viehrig.
Gladbeck in Hochfeld
Er hat mittlerweile Hochfeld erreicht. Hier entstanden Szenen für den Zweiteiler „Gladbeck“, der auf dem Geiseldrama aus dem Jahr 1988 basiert und 2018 in der ARD lief. Als Drehort wählten die Produzenten den Hochfelder Markt aus. Hier wurde der Busbahnhof Bremen-Huckelriede nachgebaut, wo die Gangster damals einen Linienbus entführten. „Hier konnte man die Szene perfekt inszenieren“ sagt Viehrig. Er will auf den Platz fahren, doch es ist Mittwoch, ein Markttag.
Wenn nicht in Duisburg, wo sonst
Also geht es weiter – durch Ruhrort und Meiderich. In den Stadtteilen ging Horst Schimanski einst im „Tatort“ auf Verbrecherjagd. Auch in der Gegenwart entstehen hier Filme. Aktuelles Beispiel: „Der letzte Bulle“, der im Herbst 2019 in die Kinos kommen soll. Zu einer Szene mit Schießerei stand im Drehbuch, dass sie vor einer Hafenkulisse im Ruhrgebiet und bei Nacht spielen soll. „Wenn man sowas nicht in Duisburg findet, wo dann“, sagt Viehrig. Vor der Meidericher Schiffswerft parkt er sein Auto. Viehrig steigt aus, deutet auf die Kräne und das Hafenbecken. „Das hat perfekt gepasst“, sagt er. Er zückt sein Handy, macht Fotos. Dann vibriert es wieder. Viehrig nimmt ab. Die Produktionsfirma meldet sich mit einem weiteren Wunsch. Und der Locationscout startet die nächste Suche.