Zu Hause am Wasser
Der Blick von der Ruhrorter Straße in Richtung Bunkerhafen hat seit knapp einem Jahr einen neuen Anker. In Grün und Anthrazit kommt er ganz modern daher und mutet an wie die gigantische Kommando - brücke eines Ozeanriesen. Es ist das neue Zuhause der Wittig GmbH, des führenden Binnenschiffsausrüsters Europas, die Wil - helm Wittig 1898 in der Altstadt gründete – damals eigentlich noch als gewöhnlichen Malerbetrieb. Der Umzug ist nur eine von unzähligen ungewöhnlichen Wendungen, Erfolgsgeschichten und Anekdoten in 120 Unternehmerjahren Wittig – mit einer unveränderlichen Konstante: Duisburg.
Nach 120 Jahren endlich am Wasser
„Wir lieben Duisburg. Wir stehen zu Duisburg. Hier sind wir zu Hause und hier gehen wir nicht weg“, sagt Frank Wittig (50), der gemeinsam mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Ralf die Geschäfte des Familienunternehmens in der vierten Generation führt. Er sagt es so voller Überzeugung, dass sich auch jeder kleinste aufkommende Zweifel ganz schnell wieder ins angrenzende Hafenbecken zurückziehen würde. Hier am Bunkerhafen, dem ältesten Teil des riesigen Hafengeländes, haben die Wittig-Brüder die neue Firmenzentrale im Juni 2018 eröffnet. „Es hat 120 Jahre gedauert, bis wir als Schiffsausrüster endlich ans Wasser gekommen sind. Jetzt sind wir da, und dieser Ort ist für uns perfekt und besonders zugleich“, sagt Frank Wittig. Nur einen Steinwurf entfernt vom Ruhrorter Ur-Hafen ist die Mutter der beiden heutigen Geschäftsführer aufgewachsen. Genau an der Stelle, an der heute die neue Kommandobrücke vor den glitzernden Wellen des Hafenbeckens strahlt, spielte Ursula Wittig als Kind mit ihren Freunden. Jetzt arbeiten hier 25 Mitarbeiter am Stammsitz der Firmengruppe, die aus elf Unternehmen besteht und insgesamt 140 weitere Arbeitnehmer beschäftigt. Herz - stück ist das große Lager. „Insgesamt haben wir 17.628 Artikel im Sortiment“, sagt Ralf Wittig, der Herr der Zahlen an der Alten Duisburger Straße 11.
„Da kommt es auf jede Minute an.“
Vom Rettungsring über Sicherheitskleidung und Schiffsfarben bis hin zu Waschmittel und Toilettenpapier findet sich in den meterhohen Regalen alles, was Berufsschiffsfahrer und Freizeitkapitäne so brauchen. „Die besondere Herausforderung besteht darin, dass unsere Kunden und damit unsere Lieferziele mobil sind. Bestellt ein Binnenschiffer bei uns, müssen wir es schaffen, bei seinem nächsten Pflichthalt – zum Beispiel an einer Schleuse – mit der Lieferung vor Ort zu sein. Da kommt es auf jede Minute an“, sagt Ralf Wittig.
Ein Füllhorn überraschender Geschichten
Die Chronik auf der Firmenhomepage zeigt die Meilensteine einer bewegten Unternehmenshistorie. Hinter ihr verbirgt sich ein Füllhorn an überraschenden Geschichten, die Stoff für ganze Bücher sein könnten. Wilhelm Wittig gründete 1898 einen Malerbetrieb, den sein Sohn Paul nach Kriegsende nicht als solchen wiedereröffnen durfte. „Die Konzessionen für Maler waren in Duisburg von den Alliierten schon vergeben. In einem Beruferegister war aber die Belieferung von Schiffen mit Glas noch frei.
Die hat unser Großvater dann genommen und zusätzlich noch Schiffsfarbe eintragen lassen. Er war ja schließlich Malermeister. Schiffsfarbe hatten die Alliierten aber gar nicht in der Liste stehen und haben es ihm einfach genehmigt“, sagt Frank Wittig. Der Grundstein für die Erfolgsgeschichte der Wittig GmbH war Zufall und beweist eine gehörige Portion Mut, neue Wege zu gehen.
„Eigentlich konnte das kein Lieferant leisten, aber mein Bruder hat es hinbekommen.“
„Der gute Kaufmann braucht unglaublich viel Mut, aber immer auch Glück“, sagt Frank Wittig. Denn immer dann, wenn die Wittigs den Mut hatten, große unternehmerische Entscheidungen zu treffen, belohnte sie dafür auch das Glück. So zum Beispiel 1989. Als viele westdeutsche Unternehmer nicht so recht wussten, wie sie mit den neuen Bundesländern umgehen sollten, packten die Wittigs beherzt zu. Nachdem Vater Karl-Ernst einen ersten Kontakt geknüpft hatte, zog Sohn Frank mit 22 Jahren kurzerhand nach Ost-Berlin und hatte im Handumdrehen einen Auftrag nach dem anderen an der Angel. „Es war unfassbar. Ich habe die Bestellungen telefonisch an meinen Bruder Ralf durchgegeben, der mich mehrmals für völlig verrückt erklärt hat. Sonst haben wir Positionslampen für einzelne Schiffe beschafft – auf einmal sollten es Positionsleuchten für 2.000 Schiffe sein. Eigentlich konnte das kein Lieferant leisten, aber mein Bruder Ralf hat es irgendwie hinbekommen“, erinnert sich Frank Wittig.
4.000 Ölheizungen – und das auf einmal
Ein anderes Mal hatte der Chef der ehemaligen DDR-Binnenschifffahrtsgesellschaft einem Vertreter der DDR-Wohnungswirt - schaft die „Ein-Mann-Ost-Dependance“ der Wittigs empfohlen. „Der wollte Ölheizungen kaufen, wie wir sie sonst auf Schiffen einsetzen. Aber sofort 4.000 Stück. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Unser Vater hatte damals den Mut, es zu versuchen. Und es hat geklappt.“
Das Risiko zahlte sich aus
Und noch so eine unglaubliche Anekdote aus der Wittig-Firmengeschichte: An einem verregneten Tag stand auf der heillos verschlammten Mühlenweide ein größeres Zelt. Die Szenerie, die auch ein Musikfestival in den Kinderschuhen hätte sein können, bekam den Titel „Fachmesse“. Ein unscheinbarer Interessent in vermatschten Trekkingschuhen und mit einem viel zu oft benutzten Rucksack kam auf die Wittigs zu. „Er habe sich zwei ausrangierte russische Binnenschiffe gekauft und wolle diese nun von uns ausrüsten lassen. Dummerweise habe er dafür momentan kein Geld mehr, weil er schon alles für die Schiffe ausgegeben habe“, sagt Frank Wittig und lacht. Die Wittigs gingen ins Risiko und statteten die beiden Schiffe aus. Was mit zwei alten russischen Binnenschiffen begann, ist heute ein gigantisches Flusskreuzfahrt-Unternehmen – und noch immer Kunde beim Duisburger Schiffsausrüster. Und das für deutlich mehr als zwei Schiffe.
Familiärer Umgang – täglicher Dialog
„Zufriedenheit ist, wenn der Kunde wiederkommt, nicht das Produkt“, lautet das Firmenmotto. Und das funktioniert nicht nur beim Flusskreuzfahrer von der Mühlenweide: „80 Prozent unserer Kunden sind Stammkunden“, sagt Ralf Wittig. Aber auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter spielt für die beiden Geschäftsführer eine wichtige Rolle. Helle Büros, eine offene, freundliche Arbeitsatmosphäre, ein familiärer Umgang miteinander. Tür an Tür und im täglichen Dialog. Wer mit den Brüdern einen Rundgang durch das Firmengebäude macht, der bekommt das zu spüren. Ein kurzer Plausch im Büro der Buchhalterinnen, ein freundlicher Handschlag für den Mitarbeiter im Lager und die Frage nach dem Wohl der Familie zu Hause. Im Obergeschoss des Firmengebäudes gibt es einen Gemeinschaftsraum mit bequemen Sitzmöbeln für die Pause, einen Billardtisch und einen Kickertisch für die kleine Abwechslung zwischendurch.
„80% unserer Kunden sind Stammkunden.“
Auf dem Weg dorthin, im Treppenhaus, finden sich Bilder aus der langen Unternehmer-Familiengeschichte. Tradition und Moderne haben am neuen Standort die perfekte Verbindung gefunden. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Hier auf der Kommandobrücke der Wittigs, wo einst Mama Ursula spielte. Zu Hause. In Duisburg.