Verbindungsmann im Kräutergarten
Daniel Martens fährt sich durch die schulterlangen Haare. Ein Windstoß lässt seinen zotteligen, grau melierten Bart tanzen. Der 50-Jährige stapft nun mit seinen schnieken Lederschuhen durch den Naturgarten Rumeln, pflückt eine Ringelblume und verspeist die Pflanze. Er verleibt sich dann noch Spitzwegerich ein. Und als dritten Gang gibt es die Eberraute. Wer Martens so Grünzeug futternd erblickt, könnte ihn auf den ersten Blick für einen Sonderling halten. Doch das trifft nicht zu.
Das soziale Miteinander fördern
Martens ist vielmehr ein Macher. Und in dieser Rolle hat er für eine Aufwertung der Liebigstraße in Rumeln gesorgt. Wo Martens jetzt die Blätter der Eberraute kaut, wucherten vor vier Jahren noch die Brennnesseln. „Die Fläche glich einer Müllhalde“, sagt der gebürtige Krefelder. Das störte ihn. Er wollte 300 Meter vor seiner Haustür einen Ort der Solidarität schaffen, an dem die Rumelner zusammenkommen. „Es ging mir darum, das soziale Miteinander zu fördern“, sagt Martens.
Er machte Werbung für sein Projekt, sprach bei der Bürgerstiftung Duisburg sowie dem Grünflächenamt der Stadt vor. Mit Erfolg. Ab 2017 wurde die Brache ein Garten. Er besteht nun aus akkurat gepflegten Beeten und einer Wildblumenwiese. Für das Konzept gab es 2018 den Nachhaltigkeitspreis der Stadt Duisburg. Martens verbringt viel Zeit an diesem Ort. Dort bauen auch Menschen ihr Gemüse an, die in einer beengten Zweizimmerwohnung ohne Balkon und Garten leben. Rentner bringen Kindern Anbaumethoden bei. Abends sitzen Menschen aus unterschiedlichen Nationen zusammen und grillen. Daniel Martens ist gerne mittendrin. Wenn er mit seinen Nachbarn plauscht, wirkt er mit sich im Reinen.
"Es ging mir darum, das soziale Miteinander zu fördern."
Doch Martens hatte in seinem Leben auch Phasen, in denen es ihm nicht so gut ging. Der Diplom-Designer und Inhaber einer Kommunikationsfirma war früher ein echtes Arbeitstier. Am Schreibtisch schüttete er literweise Cola in sich hinein. Als ein Projekt zu scheitern drohte, beendete Martens den Familienurlaub auf Fuerteventura vorzeitig und flog heim. Schließlich zerbrach seine Ehe.
Das Paradies vor der Haustür
Martens machte sich Gedanken und passte seinen Lebensstil an. Er trank nun keine Cola mehr, ging stattdessen mit Gewichten in den Händen auf die Laufstrecke. Martens ernährte sich fortan nur noch vegan. Das Rauchen behielt er allerdings als Laster. Sein Päckchen Tabak hat Martens stets griffbereit. Er änderte aber seine Einstellung zum Leben. Natürlich will Martens mit seiner aktuellen Firma „Lilies n'birds“, die Filme und Kommunikationskonzepte an die Kunden bringt, erfolgreich sein. Ihm ist ein schöner Abend im Naturgarten aber wichtiger als der Kontostand. „Warte nicht auf den nächsten Urlaub oder die Gehaltserhöhung – schaffe dir das Paradies direkt vor deiner Haustür“, lautet das Motto an der Liebigstraße.
Jeder ist willkommen
Es gibt keine Zäune, keinen Sichtschutz, kein Eingangstor. Martens freut sich, wenn er hier neue Leute trifft. Anfangs herrschte noch Skepsis in Rumeln. „Da hieß es häufig, dass sich die Ökos und Hippies hier ansiedeln“, erzählt Martens. Das ist Vergangenheit. Heute kommen die Bewohner aus der Hochhaussiedlung direkt gegenüber und schwärmen. „Wisst ihr eigentlich wie schön das alles von oben aussieht?”, hörte Martens kürzlich.
Der Vater von zwei Söhnen schaut auch über den eigenen Garten hinaus. Martens liest viel über ferne Länder und prangert Missstände in anderen Teilen der Welt an. Aber Martens ist kein Typ, der nur lamentiert. Er hilft auch – und das auf eine eigene Weise. Ein Beispiel: Als sich Martens einen Skoda als neues Auto kaufte, gab es Spott von einem Kollegen. Der Pkw sei doch nicht repräsentativ, er solle doch mal in der Oberklasse suchen. Doch Martens dachte nicht dran. „Ich habe dem Kollegen dann gesagt, dass ich die Preisdifferenz zur Spießerkarre in ein soziales Projekt stecke“, erzählt er. Martens hielt Wort und unterstützte die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva. „Sie ist Trägerin des alternativen Nobelpreises und hat im Kampf für Saatgutfreiheit und Nahrungsmittelautonomie weltweit viel erreicht. Und dass, obwohl Großkonzerne ihr Steine in den Weg gelegt haben“, sagt der Naturfreund.
Über solche Dinge denkt Martens nach Feierabend oft nach. Dann macht er es sich vor den Bauwagen bequem, verspeist Wildkräuter und lässt seinen Blick über das Areal schweifen. Und dann sieht er Menschen, die vor Jahren noch wortlos aneinander vorbeigelaufen sind, miteinander reden. Der Naturgarten hat sie zusammengebracht. Martens sagt: „Genauso habe ich mir das vorgestellt. Und wir sind noch lange nicht fertig.“
Der Naturgarten versteht sich auch als Naturbildungs-Angebot. Auf dem Youtube-Kanal gibt es wöchentlich neue Rezepte und Tipps zu Wildpflanzen und alles rund um den Naturgarten. www.youtube.com/c/liliesnbirds
Zudem gibt es an der Liebigstraße jeden sonnigen Donnerstag ab 18 Uhr einen Qi-Gong-Kurs.