Kreativ-Spaziergang durch Ruhrort
In Ruhrort liegt Kunst in der Luft. Sie hängt zumindest in luftiger Höhe. Wer mit offenen Augen durch den Stadtteil geht, entdeckt die Piratenflaggen des Kreativquartiers vor Wohnhäusern, am Mast der alten Oscar Huber, am Flaggenmast über dem Biergarten auf der Mühleninsel. Mit Herz und Anker steht die Initiative von Künstlern, Kulturschaffenden und Intellektuellen dafür, einen liebens- und lebenswerten Hafenstadtteil zu gestalten – eine kreative Oase, die einen Ausflug lohnt, nicht nur wenn ohnehin alles andere geschlossen ist.
Kreativquartier in der Heimat des Hafens
Heiner Heseding, der am liebsten einfach nur Heiner genannt wird, wartet am „Das Plus am Neumarkt“. Obwohl der Kreativquartiermoderator selbst gar nicht aus dem Szenebezirk kommt, hat er schon vor über 40 Jahren sein Herz an die Heimat des Hafens verloren. Jetzt kümmert er sich im neuesten Projekt des Kreativquartiers darum, dass Kunst und Kultur auch in Corona-Zeiten ein Publikum finden.
Eine Schaufensterausstellung zeigt auf Monitoren Werke von Malern und Fotografen, alle drei Wochen wechselt das Programm. Bis zum Abstand von drei Metern vor dem Ladenlokal liefert der Piratensender „PRFN - Pirat Radio from Newmarket“ auf UKW 99,0 den Soundtrack zur Bilderschau. Drinnen warten Pop-up-Shops von lokalen Künstlern – vom bunt bemalten Kaffeehausstuhl bis zur Mercator-Büste ist alles dabei – und eine kleine Bühne bietet, sofern erlaubt, Platz für Lesungen und Konzerte.
Allein am Neumarkt kann man problemlos die Zeit vertrödeln. Nur ein paar Meter weiter steht seit Ruhr 2010 eine unscheinbare Videostele, die historische Aufnahmen des Filmforums zeigt. Eine Hutmacherin lockt mit Live-Konzerten in ihren schönen Garten.
Und gleich um die Ecke, bei Haniel in der Harmoniestraße, hat das Männeken Piss von August Kraus auf einem neuen Brunnen endlich sein Zuhause gefunden: Einst hatten die Ruhrorter die Skulptur aus „Sittlichkeitsgründen“ abgelehnt. Aber uns zieht es weiter ans Wasser, in die „Urlaubsecke von Ruhrort“, wie Heiner sagt. Gleich hinter der Schifferbörse liegt der Leinpfad wie ein langgezogenes Freilichtmuseum direkt am Hafenmund.
„Das ist hier das Key West von Duisburg. Perfekt für den Sonnenuntergang.“
Die beiden Schornsteine auf dem schlanken schwarzen Rumpf der Oscar Huber, als alter Radschleppdampfer das Prunkstück des Museums der Deutschen Binnenschifffahrt, verleihen der Szenerie sofort den historischen Touch. Daneben der Eimerkettendampfbagger Minden, noch deutlich älter, von 1882, riesige Anker und ausrangierte Schiffspropeller. Auf der anderen Seite eine grobe Steinmauer, dicht mit Efeu und Wein bewachsen.
Fast wie in Florida
Und genau in dem Moment, in dem man denkt, hier müsste doch eigentlich ein Platz in der Sonne sein, mit Musik und kaltem Bier, ja genau dann taucht die Szenekneipe „Zum Hübi“ auf. Wenn Corona dem Wirt nicht gerade einen Strich durch die Rechnung macht, finden hier regelmäßig Konzerte und offene Jam-Sessions statt, gerne auch draußen direkt auf dem Leinpfad. „Das ist hier das Key West von Duisburg, perfekt für den Sonnenuntergang“, sagt Heiner und muss ob des ambitionierten Vergleichs mit Florida nicht einmal schmunzeln.
Irgendwie passt diese selbstbewusste Haltung ja auch zur Heimat des „Ruhrpott-Rambos“, dem direkt um die Ecke mit der Horst-Schimanski-Gasse so etwas wie ein Denkmal gesetzt wurde. Wer einen kleinen Abstecher die Pflastersteine hinauf macht, genießt hier übrigens die Postkartenansicht, die Touristiker gerne von Duisburg zeigen: im Vordergrund die Ruhr, im Hintergrund ein paar Industrieschornsteine und dazwischen der perfekte Blick auf die scheinbar immer glühende Rheinorange von Lutz Fritsch.
Outdoor-Galerie lädt zum Verweilen ein
Zurück auf der Hafenpromenade legt die Outdoor-Galerie „Aufnachtschicht“ eine Schippe Ruhrgebietsromantik obendrauf. Das Lichtspiel auf dem Wasser, mal in Orangetönen, mal in Blau, ganz klar oder im Nebel der Industrieschornsteine: Wie schön der Duisburger Hafen im Dunkeln sein kann, zeigen die leinwandgroßen Fotos des Fotografen-Duos Frank Hohmann und Daniela Szczepanski.
Doch ein Hafen bedeutet immer auch Aufbruch und so kann man sich in Ruhrort auch wunderbar in die Ferne träumen. An der äußersten Spitze der Mühlenweide, auf der sich in normalen Sommern Trödel-Fans und Biergartenbesucher drängen, steht Heiner am liebsten. Wie Sankt Nikolaus, der in Bronze gegossene Schutzpatron der Schiffer, sieht er dann in die Ferne, lauscht dem steten Rauschen der Kraftwerk-Kühlwasserpumpen und schaut den Schiffen in Richtung Holland nach. „Hier hast du lebendiges Wasser“, sagt Heiner, „im schicken Innenhafen wird das Wasser ja nur beim Drachenbootrennen bewegt.“
Auf Sonnenliegen relaxen
An Land dagegen kann man auch seine Ruhe haben. Das liegt daran, dass außer ein paar Hundebesitzern kaum jemand auf die Idee kommt, über die Homberger Brücke auf die Mercatorinsel zu spazieren. Dabei kann man hier, im einstigen Niemandsland, auf drehbaren Sonnenliegen relaxen, gemütlich den mitgebrachten Wein trinken und dem „Echo des Poseidon“ getrost den Rücken zudrehen. Schließlich würdigt die Skulptur von Markus Lüpertz das kreative Ruhrort auch keines Blickes.