Auf den Spuren des verlorenen Bachs
Das Wasser klatscht gegen die Spundwände des Kultushafens. Es weht ein leichter Wind über das Gelände. An diesem Rheinhafen siedelte sich im 19. Jahrhundert die Schwerindustrie an und verhalf Duisburg zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Heinz Kuhlen steht am Ufer. Er erblickt Treibgut auf der Wasseroberfläche und deutet auf die Stelle. „Wenn der Pegelstand einen Meter niedriger wäre, könnten wir dort die Mündung des Dickelsbachs erkennen“, sagt der 82-Jährige. Er hat aber eine Alternative parat. „Wir fahren gleich nach Südosten“, sagt Kuhlen. „Dort sehen wir den Dickelsbach in seiner vollen Pracht.“
Kindheitserinnerungen
Auf dem Weg zum Parkplatz erzählt er, warum dieses kleine Fließgewässer eine so große Faszination auf ihn ausübt. Kuhlen wuchs in Großenbaum auf. Als Kind spielte er häufig am Dickelsbach. Eines Tages zog er sich dort eine schmerzhafte Verletzung zu. „Ich bin ins Wasser gesprungen und mit dem Fuß auf einer abgebrochenen Milchflasche gelandet“, erzählt Kuhlen. Er trug eine klaffende Schnittwunde davon. Doch die Verletzung führte nicht zu einem Trauma. Im Gegenteil. „Der Dickelsbach und ich sind damals zu Blutsbrüdern geworden“, sagt der Duisburger und lacht. Später begab er sich auf Wanderschaft. Kuhlen lief zu verschiedenen Jahreszeiten die 22 Kilometer lange Strecke ab – von der Quelle in Ratingen bis zur Mündung im Kultushafen. Die letzte Etappe führte ihn aber nicht am Wasser entlang, sondern über Asphalt. „Der Dickelsbach ist aus der Innenstadt verschwunden“, erklärt Kuhlen.
In den vergangenen Jahrhunderten kam es in Duisburg regelmäßig zu Überschwemmungen. Gerade das Hochwasser von 1926 führte zu immensen Schäden. Die Stadtspitze beschloss deshalb, den Dickelsbach zu verrohren. 240.000 Reichsmark kostete der Kanalbau, der 1928 abgeschlossen war.
„Das ist ein historischer Ort, der für Biodiversität steht. Und nun ist es unsere Aufgabe, ihn für die Nachwelt zu bewahren.“
Seitdem verläuft der Dickelsbach nur noch bis zu einem Stahlgitter an der Düsseldorfer Straße in Wanheimerort oberirdisch, danach verschwindet er. Im Böninger Park weist aber heute noch ein Gullydeckel auf den Dickelsbach hin. „Wenn man sich dort runterbeugt, kann man je nach Wasserführung das Plätschern noch hören“, erzählt Kuhlen. Das Wissen über den Dickelsbach hat er sich früher nicht nur bei seinen Wanderungen angeeignet, sondern auch durch Besuche im Stadtarchiv. Nach Feierabend blätterte der Gartenbautechniker oft in alten Büchern und baute sich nach und nach eine eigene Bibliothek auf. Er erfuhr, dass der Dickelsbach einst Getreidemühlen antrieb und dem Holztransport zum Hafen diente.
Ein Blick auf das Heute
Zurück in die Gegenwart. Heinz Kuhlen ist nach zehn Minuten Autofahrt an seinem Ziel angekommen. Er parkt in einer Seitenstraße an den Duisburger Sana-Kliniken und steigt aus. Nach 200 Metern Fußweg befindet sich Kuhlen inmitten der Natur und blickt von einer Holzbrücke auf seinen geliebten Bach. Er kann den Grund erkennen. „So tief ist der Dickelsbach nicht“, sagt Kuhlen. „In den vergangenen Sommern lag er zuletzt sogar oft monatelang trocken.“
Wenn Wasser fließt, dann mittlerweile auf einem naturnahen, schlingernden Weg. Dafür haben die Wirtschaftsbetriebe mit Hilfe der Forstwirtschaft durch eine Umgestaltung gesorgt. Es sind Biotope entstanden. Heinz Kuhlen gefällt das. Ein Lebensraum für Fische ist der Dickelsbach trotzdem nicht. „Hier waren früher höchstens mal Stichlinge zu sehen“, erklärt der Experte. Dafür gibt es am Ufer laut Kuhlen „eine außergewöhnliche Pflanzenwelt“. Das indische Springkraut, der Riesenbärenklau und der Staudenknöterich haben sich hier ausgebreitet. Hier sieht Kuhlen ein Problem: Diese sogenannten invasiven Neophyten verdrängen die heimische Flora. An einer Böschung am Kultushafen blüht aktuell der Färberwaid. Auch Pflanzen wie Mauerpfeffer oder der Aufrechte Ehrenpreis sind hier zu bewundern. Der Kultushafen ist gleichzeitig Sinnbild für Stadt,- Industrie-, Eisenbahnund Hafengeschichte. „Das ist ein historischer Ort, der aber auch für Biodiversität steht“, sagt Kuhlen. „Und nun ist es unsere Aufgabe, ihn für die Nachwelt zu bewahren.“ Für seinen geliebten Dickelsbach wird er immer kämpfen.