„Wir tun alles, um die Versorgung in Duisburg in diesem Winter sicherzustellen.“
Die Stadtwerke erhöhen den Gaspreis und den Strompreis. Warum ist dieser Schritt notwendig?
Marcus Wittig: Wir erleben an den Energiemärkten seit weit mehr als einem Jahr eine drastische Preisentwicklung. Die Beschaffungspreise eilen sowohl beim Gas als auch beim Strom von einem Rekord zum nächsten. Die Einkaufspreise haben sich in wenigen Monaten weit mehr als verzehnfacht. Es gibt Tage, da kostet die Kilowattstunde Strom im Einkauf bis zu einem Euro. Das sind Preise, die wir nie zuvor gesehen haben. Bislang konnten wir unsere treuen Kundinnen und Kunden, für die wir die Energie schon weit im Voraus beschaffen, vor Preiserhöhungen schützen. Das war durch unterschiedliche Tarife für Bestands- und Neukunden in der Grundversorgung möglich. Damit konnten wir erreichen, dass bei den meisten Menschen in Duisburg die Preisexplosion an den Energiemärkten bis jetzt noch gar nicht angekommen ist. Der Gesetzgeber verlangt aber zum 1. November eine Zusammenlegung der Grundversorgungstarife. Damit kommen die immer weiter steigenden Energiepreise jetzt bei allen Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung an.
Was ist der Grund für diese drastische Entwicklung der Preise?
Marcus Wittig: In Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine und übrigens auch schon im Vorfeld des Überfalls am 24. Februar hat Russland die Importmengen von Erdgas erheblich reduziert. Durch die große Trockenheit und Hitze in ganz Europa können viele Kraftwerke nicht mehr unter voller Last laufen, weil die erwärmten Flüsse nicht mehr ausreichend Kühlwasser liefern können. Es greifen dann auch im Energiesektor die üblichen Mechanismen des Marktes. Wenn eine Ware knapp, aber dennoch stark nachgefragt wird, steigt der Preis. Und das ist derzeit bei Gas und Strom im extremen Maß der Fall.
Wie konnten die Stadtwerke die Preisentwicklung bislang von den Kunden fernhalten?
Marcus Wittig: Wir setzen seit jeher auf eine vorausschauende Beschaffungsstrategie, um Preisrisiken für unsere Kundinnen und Kunden gering zu halten. Wir kaufen die Energie oft Jahre im Voraus ein und sichern uns entsprechende Konditionen. So können wir die Preise auch dann noch eine Zeit lang stabil halten, wenn sich die Marktpreise nach oben entwickeln. Da wir aber auch in dieser Zeit versuchen, so vorausschauend wie möglich zu handeln, kommen diese enormen Preise Stück für Stück auch in unserer Beschaffung an.
"Wir setzen seit jeher auf eine vorausschauende Beschaffungsstrategie, um Preisrisiken für unsere Kundinnen und Kunden gering zu halten."
Viele Energiekonzerne verdienen sehr gut an dieser Entwicklung. Machen die Stadtwerke Duisburg jetzt auch hohe Gewinne?
Marcus Wittig: Nein. Die Gewinne machen andere Unternehmen. Vor allem die, die Gas und Öl fördern. Ebenso verdienen jetzt die Unternehmen viel Geld, die Strom aus erneuerbaren Quellen aber auch aus Braunkohle oder Kernkraft gewinnen. Das liegt an der Funktionsweise des Strommarktes. Der Preis wird immer von dem Stromerzeuger bestimmt, zu dessen Preis sich gerade noch Abnehmer am Markt finden lassen. Der hierdurch definierte sogenannte Grenzpreis gilt dann als Marktpreis für alle Marktteilnehmer. Stromproduzenten, die Gestehungskosten weitestgehend gleich halten können – zum Beispiel bei Wind- oder Sonnenenergie – oder zumindest unter dem Grenzpreis bleiben, wie bei Braunkohle und Kernkraft, generieren aus der gleichen Leistung jetzt erheblich höhere Gewinne. Die Stadtwerke Duisburg betreiben keine Braunkohle- oder Kernkraftwerke zur Stromerzeugung und sind auch weder Gas- noch Ölförderer. Wir sind darauf angewiesen, dass von Vorlieferanten ausreichende Mengen für unsere Kundinnen und Kunden importiert werden. Für die Beschaffung dieser Mengen müssen auch wir die enormen Marktpreise bezahlen. Klar ist, dass die Stadtwerke jetzt mehr Umsatz machen, unsere Ausgaben steigen aber auch enorm an. Genaue Gewinnspannen lassen sich jetzt in der Krise für uns nicht prognostizieren, es sind im Energiemarkt derzeit unglaublich viele Variablen und Volatilitäten im Spiel. Ich sehe unser Unternehmen in dieser Krise aber einer steigenden Zahl Risiken ausgesetzt.
Welche Risiken sind das?
Marcus Wittig: Zum Beispiel betreiben wir als größte Erzeugungseinheit ein Gaskraftwerk in Duisburg-Wanheim. Wir haben unser letztes Kohlekraftwerk 2018 abgeschaltet, um den Kohleausstieg vorzuziehen. Bis vor kurzem wurden wir für den Schritt viel gelobt. Aktuell sehen wir, dass Kohlekraftwerke wirtschaftlich hochrentabel betrieben werden und die Risiken für den Betrieb eines Gaskraftwerkes durch die Erdgasbeschaffungsumlage und die Sorge vor einer möglichen Gasmangellage rasant ansteigen. Ich halte unsere Entscheidung von damals aber noch immer für richtig, erst recht mit Blick auf die langfristigen Klimaschutzziele. Hinzu kommt, dass wir alles versuchen müssen, für unsere Kunden bezahlbare Energie anzubieten. Unter den aktuellen Marktbedingungen wird das immer schwieriger. Natürlich besteht auch für uns das Risiko, dass Kunden die hohen Preise, die wir leider verlangen müssen, nicht mehr bezahlen können und wir unbezahlte Rechnungen verzeichnen müssen.
Werden diese Risiken die Stadtwerke substanziell gefährden?
Marcus Wittig: Wir haben in allen Teilen des Unternehmens entsprechende Gegensteuerungsmaßnahmen ergriffen. Den weiteren Entwicklungen auf dem Energiemarkt zu prognostizieren ist aber nahezu unmöglich. Deshalb ist es in dieser Situation für alle Marktteilnehmer so wichtig, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber entschieden und gezielt einschreitet, um die Risiken für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für alle Unternehmen im Energiemarkt zu minimieren.
Welche Maßnahmen sollten das sein?
Marcus Wittig: Wir sehen, wie drastisch alle Versorger die Preise für die Kundinnen und Kunden erhöhen müssen, weil sie schlicht keine andere Wahl haben. Die Maßnahmen zur entschiedenen Gegensteuerung der Bundesregierung bleiben insbesondere für Gas bislang aus. Dass es Möglichkeiten gebe, die Energiepreise zu dämpfen und die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, zeigt allein ein Blick auf die Steuer- und Abgabenlast. Große Teile des Strom- und Gaspreises resultieren aus Steuern und Abgaben, die wir Versorger lediglich für den Staat eintreiben und weiterleiten. Hier gibt es sicher Möglichkeiten, an Stellschrauben zu drehen, um die Preise pro Kilowattstunde für die Menschen in unserem Land zu reduzieren.
Und für die Unternehmen?
Marcus Wittig: Alle Risiken bleiben derzeit bei den Unternehmen hängen. Wir sollen Geld eintreiben und weiterleiten. Kommen die Zahlungen der Kunden aber nicht bei uns an, tragen wir das finanzielle Risiko. Auch wenn der Kunde die bezogene Energiemenge nicht bezahlen kann, müssen wir alle gesetzlichen Abgaben und Umlagen mit Ausnahme der Mehrwertsteuer trotzdem abführen. Was unsere Erzeugung betrifft, hängt ebenfalls vieles von politischen Entscheidungen ab. Lange Zeit wurde über den Betrieb von erdgasbefeuerten Anlagen grundsätzlich diskutiert. Dabei betreiben wir – und viele andere Stadtwerke auch – hoch effiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, in denen wir oft vor allem Wärme für Fernwärmenetze erzeugen. Die kann ich nicht einfach ersetzen, ohne dass Menschen dann im Winter ohne Heizung wären. Diese Diskussion hätten wir uns ersparen können, denn Fernwärmeerzeugung ist unverzichtbar für viele zehntausend Menschen allein in Duisburg.
"Deshalb ist es in dieser Situation für alle Marktteilnehmer so wichtig, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber entschieden und gezielt einschreitet, um die Risiken für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für alle Unternehmen im Energiemarkt zu minimieren."
Die Erdgasbeschaffungsumlage wird scharf kritisiert, weil sie nicht klar regele, wer empfangsberechtigt ist. Wie bewerten Sie die Regelungen?
Marcus Wittig: Genau wie viele andere kommunale Versorger auch, sind auch wir auf unsere Vorlieferanten unbedingt angewiesen. Die Erdgasbeschaffungsumlage ist daher unverzichtbar, um dafür zu sorgen, dass der Markt der Vorlieferanten nicht zusammenbricht. Wir wissen, dass dies eine außergewöhnliche Belastung für viele Menschen ist, aber leider ist sie unumgänglich. Dass manche Frage nicht ausführlich genug diskutiert wurde, ist aus meiner Sicht dem enormen Zeitdruck geschuldet. Entsprechende Nachsteuerung laufen bereits. Ich denke da vor allem an die Frage der Weitergabe der Umlagen an Fernwärmekundinnen und -kunden. Wir erzeugen große Teile der Fernwärme in hocheffizienten KWK-Anlagen, die mit Erdgas betrieben werden. Da ist es doch klar, dass diese Anlagen eine entsprechende Betriebserlaubnis benötigen, um die Menschen im Winter mit Wärme zu versorgen, aber auch, dass wir die Möglichkeit brauchen, die enorm steigenden Kosten entsprechend auch einzupreisen.
Ist die Versorgung aller Kunden der Stadtwerke Duisburg und der Fernwärme Duisburg in diesem Winter gesichert?
Marcus Wittig: Wir werden alles dafür tun, was in unserer Verantwortung steht. Allerdings sind wir von den übergeordneten Entwicklungen abhängig. So lange also ausreichend Gas nach Deutschland geliefert wird, können wir auch alle Menschen in Duisburg sicher versorgen. Wir selbst importieren dieses Gas aber nicht nach Deutschland. Gesetzlich sind Privathaushalte aber sogenannte „geschützte Kunden“ und werden also solange es überhaupt möglich ist, mit Gas für den Betrieb der Heizungen versorgt. Gleiches gilt für die Fernwärmekundinnen und -kunden, die ebenfalls zu den „geschützten Kunden“ im Sinne des Gesetzes zählen. Demnach ist der Betrieb unserer Erzeugungsanlagen in der Fernwärme geschützt. So lange also ausreichend Gas importiert wird, werden wir unserem Versorgungsauftrag nachkommen. Sollte es zu einer Gasmangellage kommen, gibt es entsprechende gesetzliche Regelungen, auf die wir keinen Einfluss haben. Dann müssen wir die Anordnungen der Bundesnetzagentur umsetzen.
Sind weitere Preiserhöhungen möglich?
Marcus Wittig: Die Beschaffungskosten schwanken sehr stark. Außerdem hat die Bundesregierung die regelmäßige Überprüfung der Gasumlage angekündigt. Wir müssen uns also zumindest darauf einstellen, dass die Preise sehr genau beobachtet und geprüft werden. Sollte es notwendig sein, werden sie angepasst. Aber natürlich gilt auch, dass sie gesenkt werden, wenn es dafür Spielraum gibt.
Viele Menschen stellen die stark steigenden Preise vor existenzielle Probleme. Wie bewerten Sie die Lage?
Marcus Wittig: Es ist leider klar, dass diese enormen Preissprünge für einige Menschen erhebliche Probleme bringen. Private Schicksale gehen gerade uns als kommunalem Unternehmen mit einer engen Verbindung zu der Stadt und den Menschen sehr nahe. Wir wissen um ihre Nöte, Ängste und Sorgen. Wir haben unsere Einschätzung der Lage deutlich beim Gesetzgeber adressiert und er ist es, der handeln muss, um die Härten für viele Menschen abzumildern. In Duisburg kooperieren wir eng mit der Beratungsstelle Energiearmut bei der Verbraucherzentrale, die wir dafür sogar mitfinanzieren. Die Experten dort wissen in vielen Fällen Rat. Wenn aber das Geld einfach nicht mehr ausreicht, ist eben genau die Grenze erreicht, an der die Bundesregierung Regelungen schaffen muss.
Geben die Stadtwerke Duisburg die angekündigte Senkung der Mehrwertsteuer weiter?
Marcus Wittig: Sobald die angekündigte Senkung in Kraft tritt, werden wir diese in vollem Umfang an alle unsere Kundinnen und Kunden weitergeben.