Das Schilderwerk im Wasserviertel
Der Besuch beim Schilderwerk Schnürle auf der Lennestraße verändert Perspektiven. Die ganze Welt scheint auf einmal beschildert. Gleich auf den ersten Metern über den Hof auf dem Weg zum Büro fängt es an: alles sauber ausgeschildert. Da kann sich niemand verlaufen. Hat man sich erst einmal reingeguckt, sieht selbst der Laie die vielen Markierungen in Blau, Rot, Gelb oder Grün. in der Landschaft stehen sie, weisen jedes Gebäude aus, geben in Sälen Nachricht zu den Notausgängen.
Firmeninhaber Dr. Thomas Schnürle, der das Familienunternehmen in der vierten Generation leitet, schildert, warum die Welt voller Zeichen ist: „Solange es Augen gibt, die sehen, wird es auch Schilder geben. Die Augen erfassen die Wirklichkeit am schnellsten und sie sind der stärkste unserer Sinne.“ Noch Tage später wirkt der Schilderblick nach. alles scheint markiert. im Zweifelsfall mit einem Schild von Schnürle, denn das Unternehmen im Wasserviertel gehört zu den größten Schilderproduzenten in Deutschland.
Zeichen setzen seit 1910
Dieser andere Blick auf Schilder macht klar, dass Schnürle seit über 110 Jahren seinen Job richtig gut macht. Denn der Sinn eines Schildes ist ja, dass es den Blick auf sich ziehen und je nach Situation die Perspektive verändern soll: weil eine Gefahr droht oder weil man eine andere Richtung einschlagen soll. Wenn ein Unternehmen in Duisburg wirklich wegweisende Produkte herstellt, dann Schnürle. auch für sich selbst: Praktisch jeder Autofahrer in Duisburg kennt das Firmenschild „Schnürle Industrie“. Wer über die Stadtautobahn die Ausfahrt Duissern passiert, hat es sofort im Blick. Schnürle bedient diese Schaulust europaweit. Der Katalog umfasst 4.000 Produkte. Das Unternehmen fertigt auf 2.500 Quadratmetern vom Keller bis zum Dach die erleichternden Informationsträger. Mehrere 100.000 dieser Schilder pro Jahr produzieren 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort auf der Lennestraße und im Zweigwerk in Wanheimerort: im Schilderwerk wird gestanzt, mit dem Laserdrucker auf Metall und Kunststoff gedruckt, per Siebdruck gefertigt oder lack auf Metall eingebrannt.
Quasi für die Ewigkeit gemacht wie die Starkstrom-Warnungen mit Haltbarkeitsgarantie von mindestens 15 Jahren oder für nur den Moment, in dem ein Lagermitarbeiter die Packliste auf einer Kiste finden muss. Solche Schilder, bedruckt in Deutsch, Englisch, russisch, Japanisch und Chinesisch stellt das Unternehmen massenweise her. Dahinter liegt der Lieferschein. Kaum von der Kiste gerissen, kommt es auf den Müll. Manchmal ist Aufmerksamkeit etwas sehr Einmaliges. Selbst für Menschen, die den augensinn nicht nutzen können, gibt es Schilder. Schnürle fertigt sie zum Beispiel für die Fahrkartenautomaten der Schweizerischen Bundesbahn. Blinde können die erhabenen Zeichen ertasten, lesen so eine Telefonnummer, die sie für den Kauf einer Fahrkarte anrufen können.
Ohne Schilder geht es nicht
Thomas Schnürle hat recht: „ohne Schilder geht es nicht. Wer auf etwas hinweisen will, nutzt Schilder. Wer sich orientieren will, schaut danach.“ oder ertastet es. Kunden sind VW oder die Deutsche Bahn, die Bundeswehr und, wie sich beim Besuch des Unternehmens herausstellt, auch die Stadtwerke und deren Netzgesellschaft. Für otto Normalverbraucher hat das Schilderwerk ebenfalls einiges im Repertoire. Wo gibt es das „Einfahrt freihalten“-Schild für die Ausfahrt am Haus? Natürlich bei Schnürle. Nummernschilder prägen die Mitarbeiter hier ebenfalls – und das sogar zum kleinen Preis. Kennzeichnungsringe, die über den Hals von Gasflaschen aus Frankreich gesteckt werden, prägen die Mitarbeiter aus Metall. Und das zu Tausenden. Praktisch jeder hat was auszuschildern.
Das Wort „Manufaktur“ hat dabei durchaus seinen Sinn. Ein Großteil der Produktion wird von Hand gefertigt. Die Werkzeuge, die zum Stanzen, Biegen und Schneiden der Bleche notwendig sind, gehen in jedem Fall durch fachkundige Hände. Für ein Einzelstück oder als Massenprodukt. Schilder sind ebenso universell wie individuell. Europanormen spielen eine bedeutende Rolle. Thomas Schnürle kennt die wichtigste auswendig: EN iSo 7010. Die Farben sind ebenfalls genormt. Das Gelb auf den Warnschildern trägt die Bezeichnung real 1003. Ebenso wichtig sind die ganz speziellen Kundenwünsche. Diese Verbindung zwischen „überall“ und „genau hier“ bildet dann auch den Anfang des Unternehmens.
Vom Graveur zum Schilderproduzenten
Thomas Schnürles Urgroßvater hatte sich 1908 als Graveur und Schildermaler auf der Königstraße selbstständig gemacht. Bereits dessen Vater hatte das schildernde Handwerk in Düsseldorf gelernt. Der Sohn wollte sein eigenes Geschäft und machte sich in der rasch wachsenden Industriestadt an Rhein und Ruhr selbstständig. Jede seiner arbeiten war ein Einzelstück. Wappenschilder, Gravuren und Pokale. Bis es den Gründer für eine Reise in die USA verschlug. Da schaute er nicht allein Sehenswürdigkeiten, sondern entdeckte auch: Schilder lassen sich in Serie fertigen. Denn Wegweisendes ist oft gleich und muss es sein: Der Hinweis auf einen Notausgang, der Standort eines Feuerlöschers – all das will ohne langes Schauen intuitiv und unmittelbar erfasst werden. So also entstand die Manufaktur auf der lennestraße. Damals in einem wahren Industriegebiet, denn der Innenhöfen, der Brotkorb des Ruhrgebietes war voll in Funktion. aus einem Graveur wurde ein Schilderproduzent auf einem seinerzeit fast dreimal so großen Betriebsgelände. Die Fabrik war bis Ende der 1950er Jahre sogar die größte ihrer Art in Europa.
Wer sich heute durch das Unternehmen führen lässt, spürt diese Wurzeln. Mehr noch: Man kann sie sehen und hören: Einige der mächtigen Spindelfriktionspressen, die aus einem Stück Metall ein Schild prägen, stammen noch aus den 1920er Jahren. auch das Prinzip selbst hat sich kaum verändert: Erst kommt das Werkzeug, das den Aufdruck als Relief auf der einen Seite und ausgespart auf der anderen zeigt. Mit der Macht von bis zu 200 Tonnen wird dann von Hand ein Stück Metall, Messing, Edelstahl oder Aluminium so verformt, dass aus der „Blaupause“ ein Rohling wird. Die Mitarbeiter fertigen sie Stück für Stück. im Keller, denn Pressen sind laut. Die Lennestraße ist inzwischen Teil eines Wohngebiets.
aus diesen Wurzeln, passenderweise im Keller, wuchs ein Baum mit neuen Zweigen: Das ausstanzen der Schilderform übernimmt inzwischen für viele Produkte eine computergesteuerte CNC-Stanzmaschine. Schilder aus Kunststoff werden mit einem Digitaldrucker bedruckt. Farben und Formen sind im Computer hinterlegt. Vom Metallschild bis zum Aufkleber – alles geht. Hightech trifft Tradition. Moderne Welt in einer Manufaktur. Dabei lassen sich zugleich die Zeitlinien auf den Produkten erkennen: im Büro von Thomas Schnürle ist ein Warnschild, das auf die Gefahren des Starkstroms hinweist, zu sehen. Ein Blitz durchfährt darauf die Brust eines deutlich gemalten Arbeiters. Heute sagt das Gleiche ein schwarz umrandetes Dreieck in Gelb mit einem Blitz in der Mitte aus. Dass auf der Baustelle der Gehörschutz zu tragen ist, darauf weist ein blaues Schild mit einem angedeuteten Gesicht hin. „Früher hatte dieses Gesicht mal einen Haaransatz. Der ist inzwischen verschwunden“, sagt Thomas Schnürle.
(Zeichen-)Sprache ohne Worte
Der Trend geht zur Vereinfachung, zum schnellen Erfassen. Schilder sprechen oft eine Sprache, die ohne Worte verstanden wird. Ein polnischer Bauarbeiter auf einer Baustelle in Portugal soll nicht raten müssen. Thomas Schnürle erläutert das Farbspiel, das jeder sofort versteht: rot steht für Verbote, Blau für Gebote und gelbe Schilder „schreien“ Warnungen heraus. Grüne Schilder signalisieren Hilfe, zum Beispiel, wo es zum Notausgang geht. Die Wissenschaft von dieser Zeichensprache nennt sich Signalethik.
Genauso unmittelbar macht Schnürle deutlich, dass es ein Duisburger Unternehmen ist. Ein Bild vom landschaftspark-Nord leuchtet vom Katalogtitel. Thomas Schnürle sagt: „Wir wollten zeigen, dass wir aus Duisburg sind und dass wir ein Industrieunternehmen sind.“ im landschaftspark-Nord stehen übrigens ebenfalls Schnürle-Schilder. Wo nicht?