Zeitung zum Hören
„Achtung, Aufnahme!“, warnt ein Schild an der Tür des Konferenzraums 702. In der Mitte des Zimmers steht ein ovaler Besprechungstisch, an ihm sitzen fünf Damen. „Ruhe bitte, ich starte jetzt“, sagt Krista Schmette (72) und drückt die Aufnahmetaste des CD-Rekorders. Das wiederum ist das Signal für Ingrid Rother (56). Sie rückt das vor ihr aufgestellte Mikrofon in Position und legt los: „Eine WG nur für Senioren“, sagt sie mit ruhiger, klarer Stimme. Es ist die Überschrift eines Zeitungsartikels über ein Altenwohnprojekt in Homberg, der in der „NRZ“ erschienen ist.
Seit 1976 ehrenamtlich tätig
Einmal pro Woche trifft sich das Team der „Duisburger Lokalnachrichten für blinde MitbürgerInnen“, um Zeitungsartikel vorzulesen und auf CD zu speichern. Kopien der Aufnahmen werden anschließend kostenlos an blinde und sehbehinderte Menschen in Duisburg verschickt. Im Jahr 1976 ist dieses Ehrenamtsprojekt gestartet. Bis 2008 wurden noch Kassetten besprochen. Dann folgte die Umstellung auf CDs. Inzwischen sind fast 2100 Ausgaben der Hörzeitung erschienen.
Vielschichtige Themen im Fokus
75 Minuten passen auf eine CD, das reicht meist für etwa 20 gesprochene Beiträge. „Uns ist es wichtig, dass wir die thematische Vielfalt der Lokalzeitung abbilden“, sagt Krista Schmette. „Und natürlich versuchen wir, Themen auszuwählen, die den Interessen unserer Hörer entsprechen.“ Stadtpolitik, Meldungen von Polizei und Feuerwehr, Sport, Wirtschaft, Soziales, Kultur, bunte Geschichten, Veranstaltungen...
Das Mikrofon steht nun vor Henny Schmidt. Die 79-Jährige nimmt eine Ausgabe der „WAZ“ zur Hand, holt Luft und liest einen Artikel mit der Überschrift „Gemeinde will Christuskirche verkaufen und entwidmen“. Es ist ein kurzer Text über aktuelle Entwicklungen in Neudorf – 31 gedruckte Zeilen, auf CD sind es später etwa 90 Sekunden. „Wie viel haben wir denn inzwischen?“, fragt Ingrid Rother. „66 Minuten“, antwortet Krista Schmette, „da bleiben uns noch neun Minuten.“
Vorbereitung nimmt viel Zeit in Anspruch
Auf dem Tisch türmen sich die Zeitungen. Die Redaktionsmitglieder haben vor ihrem Treffen bereits einzelne Artikel ausgeschnitten, interessante Passagen mit Textmarker unterstrichen, Notizen an den Rand gesetzt. Die Vorbereitung der eigentlichen Arbeit nimmt viel Zeit in Anspruch. „Wir sind sehr aufmerksame Zeitungsleser geworden“, sagt Krista Schmette. Rund drei Stunden dauert es schließlich, bis alles eingesprochen ist. Als Lohn für ihre Mühen erhalten die Ehrenamtler kein Geld, dafür aber immer wieder Lob von ihren Hörern. Einst waren es ca. 200. Doch seit Jahren ist die Zahl rückläufig. Ähnlich wie bei den Abonnentenzahlen der gedruckten Tageszeitungen. Derzeit werden die Hörnachrichten noch an 40 sehbehinderte Empfänger verschickt.
Uns ist es wichtig, dass wir die thematische Vielfalt der Lokalzeitung abbilden.“
Unterstützung von vielen Seiten
Jetzt ist Elvira Gibbels (64) an der Reihe. Sie setzt ihre Lesebrille auf und widmet sich zunächst einem Artikel über Konflikte zwischen Fahrrad- und Autofahrern, dann einer kurzen Meldung über den Geburtstag von Zwergflusspferd Quirle im Duisburger Zoo. „Mein Bruder ist blind. Dadurch habe ich von diesem Angebot erfahren und wollte mitmachen“, sagt sie. Die Stadt stellt dem Blindennachrichten-Team den Redaktionsraum an der Schwanenstraße zur Verfügung, Spender ermöglichen den Kauf von CD-Rohlingen, die Post verzichtet bei Blindensendungen aufs Porto. „Ohne Unterstützung könnten wir das alles gar nicht machen“, sagt Krista Schmette. Jüngst war beispielsweise das Aufnahmegerät kaputt.
„Mein Bruder ist blind. Dadurch habe ich von diesem Angebot erfahren.“
Für die Reparatur gab es kein Budget. Schließlich fand sich ein Techniker, der den Rekorder kostenfrei instand gesetzt hat. Zwei Wochen lang war die Hörzeitung nicht erschienen. „So etwas ist natürlich ärgerlich“, sagt Krista Schmette. „Wir möchten ja, dass unsere Hörer über das Geschehen in der Stadt auf dem Laufenden bleiben.“ Irene Bier ist seit dem Jahr 2002 Teil des Teams – und noch immer hat sie große Freude an ihrem Ehrenamt: „Der Dienstag ist bei mir fürs Lesen reserviert. Das ist in Fleisch und Blut übergegangen.“ Mit ihren 85 Jahren ist sie das älteste Mitglied in der Runde der ehrenamtlichen Nachrichtensprecher, heute steuert sie einen Artikel über den Verein City-Wärme bei, der sich für Obdachlose, Senioren und Alleinerziehende einsetzt.
Nächste Woche geht’s weiter
Die CD ist fast voll. Es bleibt eine knappe Minute. Das reicht gerade noch für ein Gedicht aus dem Kulturteil der Zeitung. Krista Schmette liest „Ich saß auf einem Steine“ von Walther von der Vogelweide. Dann drückt sie die Stopptaste und holt die fertige CD aus dem Rekorder. „Nächste Woche geht’s weiter“, sagt sie, „Aufnahme beendet!“