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Ein Häppchen Kultur

Das Kultur- und Stadthistorische Museum empfängt seine Besucher seit Pandemiebeginn auch digital.

Den 22. März 2020 wird Natalie Grüber nie vergessen. „Meine Chefin hat gesagt, das Museum ist jetzt geschlossen. Das war ein Schock“, erinnert sich die Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Kultur- und Stadthistorischen Museums Duisburg an den ersten Corona-Lockdown in Deutschland. „Mein Job ist es, Menschen ins Museum zu holen. Da bin ich erst mal in ein Loch gefallen.“ Doch schnell wurde der 35-Jährigen klar, dass dieses Loch, das die Pandemie ins öffentliche Leben gerissen hatte, mit neuen interessanten Möglichkeiten gefüllt werden konnte.

Aus dem Homeoffice heraus entwickelte die Historikerin innerhalb weniger Tage zunächst einen Museumsblog, „als Sprachrohr, um mit den Besuchern in Kontakt zu bleiben“, wie sie sagt. Mal wird hier ein exklusiver Blick hinter die Kulissen, mal ein Video mit Hintergrundinformationen zu einem spezifischen Ausstellungsobjekt geboten – oder es wird ein Besucher aus der Zukunft vorgestellt.

Per Mausklick ins Museum

Schon Ende April rollte Trolley Marvin, mit dem das Projekt „DigiScan powered by Navvis“ der Stadtwerke Duisburg bereits andere städtische Gebäude aufgenommen und vermessen hat, durchs Museum. Ausgestattet mit einer Kamera, die in alle Richtungen Bilder aufnimmt, und einem Laser-Scanner, der seine Umgebung mit sogenannten Punktwolken kartographiert, fertigte Marvin maßgenaue Bilder der Stadtgeschichte-Ausstellung und der Mercator-Schatzkammer an – für einen digitalen 360-Grad-Rundgang, der sich ein bisschen anfühlen soll wie ein echter Museumsbesuch. 

„Meine Chefin hat gesagt, das Museum ist jetzt geschlossen. Das war ein Schock.“

Natalie Grüber

Vom heimischen Wohnzimmer aus kann man jetzt per Mausklick durch die türkisblaue Eingangstür schweben, vorbei an Werkzeugen aus der Jungsteinzeit und Töpferware aus dem Mittelalter. Hinter den großen Panoramafenstern stehen die alten RWSG-Kräne am Innenhafen, drinnen erinnern qualmende Schornsteine, Schaufeln und Spitzhacken an die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts. Der digitale Besucher kann sich völlig frei im Raum bewegen, die Informationen auf den großen Erklärstelen lesen, an die Schimanski-Jacke heranzoomen.

Unschlagbar: die Aura vor Ort

Die Digitalisierung des Kultur- und Stadthistorischen Museums war in Duisburg schon länger ein Thema, doch damit verbunden war stets die Frage: Verhindert man so, dass Menschen in echt ins Museum kommen? Erst Corona – und der Kontakt, den die Smartcity-Initiative der Stadt Duisburg zu den DU-IT herstellte – gab den Anstoß, alle Hemmungen über Bord zu werfen und einen 360-Grad-Rundgang fürs Internet zu realisieren.

„Natürlich erwarten die Besucher heutzutage digitale Angebote – das ist ein Muss. Aber in der Museumswelt glauben wir an die Aura der Objekte. Und Kontext und Ausstrahlung kann man nicht digital erleben“, sagt Natalie Grüber, die schon als Kind am liebsten Familienausflüge ins Museum unternahm. Was die Duisburgerin damit meint, wird in der Mercator-Schatzkammer deutlich. Der abgedunkelte Raum strahlt eine fast mystische Atmosphäre aus, man traut sich kaum zu flüstern. Die alten Globen, deren Farbe an vergilbte Landkarten erinnert, ruhen erhaben hinter dickem Glas, ringsherum kunstvolle Bücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert und zwischen den goldenen Wänden blitzt durch die Tür wie aus einer anderen Welt eine Projektion der Erde durch, die im schwarzen Nichts zu schweben scheint.

Natalie Grüber freut sich auf neue digitale Möglichkeiten.

Appetithäppchen und Gedächtnisstütze

„Wenn ich mir vorstelle, dass Mercator, über den wir so viel hören, nach dem so viele Straßen und Gebäude benannt sind, diese Globen hier angefertigt hat, dann ist das schon etwas ganz Besonderes“, findet Natalie Grüber. „Das ist diese Aura, die man digital nicht vermitteln kann.“ Deshalb soll der 360-Grad-Rundgang Appetithäppchen und Gedächtnisstütze sein, er soll Schwellenängste abbauen und von Schulen zur Vor- und Nachbereitung genutzt werden, aber er soll kein Ersatz für den Besuch sein, obwohl er während der Corona-Lockdowns letztlich genau das war.

An die gespenstische Leere in den Ausstellungsräumen jedenfalls erinnert sich Natalie Grüber nicht gerne zurück. Sie freut sich darüber, dass ins Museum wieder Leben eingekehrt ist – und kann es trotzdem kaum erwarten, die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, weiter auszuschöpfen. Ergänzende Videos und Blogbeiträge sind für den Online-Rundgang schon geplant. Außerdem soll neben den beiden Dauerausstellungen zukünftig auch die ein oder andere Sonderausstellung digital erfasst werden. Und gemeinsam mit einer Kollegin entwirft Natalie Grüber gerade ein Krimispiel zum Corputiusplan von 1566, in einer analogen und einer digitalen Variante.

Der Standort des Kultur- und Stadthistorischen Museums verbindet anschaulich die Vergangenheit mit der Gegenwart

Was nach Corona bleibt

Wie in vielen Branchen gibt es auch innerhalb der Museumslandschaft die Diskussion: Was bleibt von Corona, wer wollen wir sein, was wollen wir mitnehmen in die Zeit nach Corona? Natalie Grüber weiß nicht, wie dieser Transformationsprozess ausgehen wird, aber sie ist sich sicher: „Stadthistorische Museen müssen Foren für die Stadtgesellschaft sein, die Menschen müssen sich wiederfinden.“ Womöglich ja sogar digital auf einem Globus. „Vielleicht könnten wir es hinbekommen, dass man die Mercator-Globen online drehen kann …“, träumt Natalie Grüber schon vom nächsten digitalen Experiment

360-GRAD-RUNDGANG

Das Kultur- und Stadthistorische Museum kann nun auch bequem von zu Hause aus besucht werden. Digitale 360-Grad-Scans der Stadtgeschichte-Ausstellung und der Mercator-Schatzkammer gewähren Einblicke ins Museum. Mehr Infos: stadtmuseum-duisburg.de


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