Kreative Wege im KOMMA-THEATER
Als Renate Frisch und die Mitglieder des Komma-Ensembles die Nase voll hatten von geschlossenen Theatersälen sowie abgesagten Auftritten, stiegen sie mit einem Megafon aufs Dach. Oben angekommen machten sie Ansagen an die Bevölkerung. „Wir sind da, und wir spielen immer noch“, riefen sie vom Dach des Komma-Theaters in Rheinhausen. Passanten drehten sich um, hörten ihnen zu. Sie hatten mit ihrer Aktion für Aufmerksamkeit gesorgt.
Einige Wochen nach der Aktion sitzt Frisch im Foyer des Kinder- und Jugendtheaters. Hinter ihr hängen Plakate, die auf vergangene und anstehende Aufführungen hinweisen. Auf manchen prangt ein Aufkleber mit Hinweisen zur Premiere. „Es geht endlich wieder richtig los“, sagt sie. Sie muss die Zuschauer nicht mehr vom Dach aus ansprechen, sondern kann sie wieder im Saal begrüßen.
Die pensionierte Lehrerin darf nun wieder regelmäßig ihrer Leidenschaft nachgehen. Seit fast fünf Jahrzehnten macht Frisch Theater. Sie schreibt Stücke, gestaltet Bühnenbilder mit und unterhält als Schauspielerin ihr Publikum.
„Wir sind da, und wir spielen immer noch.“
1976 gehörte Frisch zu den Gründungsmitgliedern des Reibekuchentheaters, das sich 2013 in Komma-Theater umbenannte. Zu Beginn zeigte das Ensemble seine Stücke ausschließlich auf Tour. „Wir waren damals eine wilde Straßentheatertruppe, die von Flensburg bis Rosenheim gespielt hat“, erzählt Frisch.
Theater mit langer Tradition
1994 bekam das Schauspieler-Kollektiv ein Zuhause – und zog in die Räume der ehemaligen Rheinhauser Mädchenschule ein. Der Standort ist in der Kulturszene bekannt. Das Backsteingebäude war bereits Schauplatz vieler Festivals. Das Ensemble kann mit den Auszeichnungen für seine Stücke schon Wände tapezieren. Im Duisburger Westen sind sie außerdem stolz darauf, eines der ältesten freien Kinder- und Jugendtheater in ganz Deutschland zu haben.
Kontroversen um Loveparade-Stück
Für Anfang 2020 standen einige Premieren im Programm – auch Stücke für Erwachsene. Frisch fieberte besonders der Erstaufführung von „Loveparade — eine Verblendung“ entgegen. Regisseur René Linke wollte mit der Inszenierung einen Beitrag leisten zur Aufarbeitung der Katastrophe aus dem Jahr 2010. Es gab kontroverse Diskussionen im Vorfeld. Doch bevor sich die Zuschauer selbst ein Bild machen konnten, brachte die Corona-Pandemie den Kulturbetrieb zum Erliegen.
„Wir sind da, und wir spielen immer noch.“ Renate Frisch In der Corona-Zeit entwickelte das Komma-Theater auch ein neues Format. Kreative Wege im Auch das Komma-Theater musste schließen. Proben waren wegen der Abstandsregeln nicht erlaubt. Die sechs Ensemble-Mitglieder und auch ihre Gastschauspieler im Alter von 22 bis 73 Jahren saßen zu Hause. Es war ein harter Schlag, schließlich verdienten alle mit der Theaterarbeit ihr Geld. Durch Corona brachen auch Nebenjobs weg. Die Absagen sorgten für Frust. „Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir unser Publikum auf einem anderen Weg erreichen können“, sagt Renate Frisch.
Auftritt vor der Handykamera
Dass die Crew des Komma-Theaters kreativ ist, zeigte sie schon während des ersten Lockdowns. Die Frauen und Männer filmten sich in den eigenen vier Wänden, schnitten das Material zusammen und stellten es als neues Stück auf ihre Internetseite. „Es war am Anfang komisch, vor der Handykamera zu stehen und sich selbst aufzunehmen“, gesteht Frisch. „Aber nach ein paar Versuchen hat es doch funktioniert.“
Neues ausprobieren, alte Konzepte anpassen – so gingen sie und ihre Kollegen durch die Corona-Zeit. Als im Sommer 2020 die Bühne endlich frei war für das Loveparade-Stück, trat wieder ein Problem auf. Teile der Handlung sollten sich auf einer Rampe abspielen. „Allerdings konnten wir mit den ursprünglichen Plänen nicht genügend Abstand zum Publikum halten“, sagt Frisch. Also kaufte sie Frischhaltefolie, die Zuschauer und Darsteller voneinander trennen sollte. Die Requisite sorgte auch für einen besonderen Effekt. „Die Sicht auf die Bühne war getrübt, das passte sehr gut zum Thema Verblendung“, erzählt Frisch.
In der Corona-Zeit entwickelte das Komma-Theater auch ein neues Format – einen Audiowalk durch Rheinhausen. Dieser Hörspaziergang nimmt Teilnehmer mit auf eine Zeitreise in die Jahre des Stahlarbeiterkampfes. Los geht es am Kruppplatz und von dort aus zu den Schauplätzen, an denen sich der Konflikt 1987 und 1988 abspielte. „Über eine Handy-App kann man in die Geschichte von damals eintauchen“, sagt Frisch. „Es ist eine Mischung aus Hörspiel und Stadtführung.“
Premiere von „Grrrls“ am 11. Dezember
Auch wenn kreative Ideen wie Theaterrufe, Videostücke und Audiospaziergänge gut ankamen, freut sich Renate Frisch auf die Premieren in den kommenden Wochen. Am 11. Dezember steht sie zum ersten Mal mit „Grrrls“ vor Zuschauern. In dem Stück geht es um Frauen aus verschiedenen Generationen. Frisch spielt darin die Großmutter eines Punkmädchens. „Ich bin gespannt, wie das Publikum das Stück annehmen wird“, sagt die professionelle Schauspielerin.
Dass die Sehnsucht nach Kultur groß ist, hat Frisch kürzlich an der Theaterkasse erfahren. Als Auftritte vor Publikum zeitweise wieder möglich waren, sprach eine Besucherin sie an. „Sie hat mir erzählt, dass sie vor Vorfreude auf der Fahrt hierhin geweint hat.“
Den kompletten Spielplan in der Übersicht gibt es auf kommatheater.de