Zwischen Frikadellen und Pistazieneis
Andrea Smolka beugt sich über die Fleischauslage und greift zu einem Westfälischen Knochenschinken. „Wie immer acht Scheiben?“, fragt die Verkäuferin ihren Kunden und erntet ein Nicken. Smolka stellt sich an die Aufschnittmaschine, schneidet die Bestellung zurecht und wiegt den Schinken ab. Der Kunde hat noch weitere Wünsche, ja, es darf noch etwas mehr sein: 100 Gramm Mailänder Salami und drei Frikadellen.
Besonderes Ladenkonzept
Während Andrea Smolka das Fleisch- und Wurstpaket zusammenstellt, öffnet sich die Ladentür zur Metzgerei Mieth. Zwei Frauen treten ein. Sie gehen vorbei an der Fleischtheke. „Komm, wir setzen uns draußen hin! Da gibt’s Kaffee und Kuchen“, sagt eine der Frauen und nimmt mit ihrer Freundin die Stufen hinunter zur Außenterrasse. Auf dem Weg dorthin vernehmen sie eine Bestellung aus dem Nebenraum. Dort greift Verkäuferin Lisa Schinck zum Eislöffel und presst eine Schokoladen- sowie eine Pistazienkugel in ein Waffelhörnchen.
Dieses besondere Ladenkonzept findet sich auf der Oststraße im Stadtteil Neudorf. Eine Metzgerei, ein Café und eine Eisdiele sind hier unter einem Dach vereint. „Außerdem haben wir noch einen Party- und Lieferservice“, erklärt Inhaberin Nicole Franke, die in Kittelschürze an einem Holztisch sitzt. Die 50-Jährige ist in den Straßen Neudorfs bekannt. Sie versprüht stets gute Laune, auch wenn der Arbeitstag noch so stressig sein mag. „Die Geschäftsräume sind für mich wie mein Wohnzimmer, und das möchte ich im Gespräch mit den Kunden auch zeigen“, sagt Franke. Zur Welt kam sie zwar in Mainz, aber bereits als Vierjährige zog sie mit den Eltern ins Ruhrgebiet. Franke stammt aus einer Gastronomenfamilie. Ihre Mutter und ihr Vater betrieben in Duisburg unter anderem das Restaurant Sportpark Wedau an der Masurenallee. „Ich habe dadurch schon als Kind den Wert von gutem Essen zu schätzen gelernt“, betont Nicole Franke.
„Die Geschäftsräume sind für mich wie mein Wohnzimmer.“
Nach ihrer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau in einem Supermarkt unterschrieb sie einen Arbeitsvertrag bei der Metzgerei Mieth. Franke liebte ihren Job vom ersten Tag an. Sie verstand sich dabei nicht nur als Verkäuferin. „Man ist für manche Kunden auch eine Art Seelsorgerin“, sagt Franke.
Außergewöhnliche Gäste
In der Metzgerei waren auch schon Prominente zu Gast. So drehte Fernsehstar Hape Kerkeling einst an der Fleischtheke Szenen für einen TV-Sketch. Und die damalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verputzte bei einem Besuch in Neudorf eine Bratwurst aus der Metzgerei. „Die hat einer ihrer Personenschützer für sie gekauft“, erzählt Franke und lacht. Mit ernster Miene spricht sie über die Ereignisse im Jahr 2011. Christa Mieth, ihre damalige Chefin, musste Insolvenz anmelden. Es drohte die Schließung der Metzgerei. Franke hatte daraufhin schlaflose Nächte. „Die wollen mir meinen Laden wegnehmen“, sagte sie zu ihrem Mann Carsten. >
> Schließlich fasste Nicole Franke einen Entschluss. Sie machte ihrer Chefin ein Kaufangebot – und übernahm die Metzgerei. „Das war ein finanzieller Kraftakt“, gibt Nicole Franke zu. „Aber ich konnte doch nicht zulassen, dass der Laden schließt.“
Kreativität ist gefragt
Das Metzgereien-Sterben in Neudorf in den vergangenen Jahren hat ihr wehgetan. Franke kann sich noch an Zeiten erinnern, in denen es 13 Mitbewerber im Stadtteil gab. „Davon sind nur zwei Metzger übriggeblieben“, sagt sie. Wer in der Branche überleben will, muss sich anpassen. Das hat Franke erkannt. So gerne sie zum Frühstück Schinkenbrötchen und beim Mittagstisch Rinderrouladen serviert, weiß sie auch, dass Fleisch nicht jeden Geschmack trifft. „Wir haben das vegetarische und vegane Angebot deshalb immer mehr erweitert“, erklärt Franke. So bestellen ihre Kunden nun auch Tomatenspieße oder Gemüsepfannen.
„Das war ein finanzieller Kraftakt. Aber ich konnte doch nicht zulassen, dass der Laden schließt.“
Die Metzgerei an der Oststraße setzt auch auf Partnerschaften. Was ihr Team vor Ort nicht herstellen kann, kauft Nicole Franke zu. So bezieht sie etwa Leberwurst und Mett vom Fleischermeister Michael Schönnenbeck aus dem Stadtteil Röttgersbach.
Eine Gruppe, die sich „Mittwochsfrauen“ nennt, hat mittlerweile im Außenbereich Platz genommen. Franke bringt ihnen Kaffee und Käsekuchen zum Tisch. „So ein Laden ist in der Ecke einmalig“, sagt Angela Tegge, die sich mit ihren Freudinnen jeden Mittwoch in der Neudorfer Fußgängerzone trifft. Dass Nicole Franke vor einigen Jahren zusätzlich ein Café eröffnet hat, macht den Standort für die Frauen attraktiver Sie kennen den hinteren Bereich des Gebäudes noch als Weinstube. Der ehemalige Hauseigentümer Hans Kandt schenkte seinen Gästen dort Spätburgunder und Riesling ein. Dann erlitt er bei einem Sturz schwere Verletzungen, an dessen Spätfolgen er starb. Bei der Beisetzung versprach Nicole Franke der Witwe Inge Kandt, dass sie was aus der alten Weinstube machen wird. Und sie hielt Wort. Mit dem Café erweiterte sie ihr Angebot. Auch hier fand sie wieder einen passenden Partner. Das Café Kurz in Ruhrort ist eine stadtbekannte Konditorei. Die Marzipantorten und Schokoladenkuchen gibt es mittlerweile auch in Neudorf – bei Nicole Franke. Seit drei Jahren besitzt sie eine eigene Eisdiele. Die Bäckerei war aus dem Gebäude ausgezogen. Nicole Franke verschreckte der Gedanke an einen Leerstand im Nachbarraum. Also nahm sie noch einmal Geld in die Hand – und eröffnete im Mai 2019 Nicky’s Eiscafé. 20 Sorten stehen zur Auswahl.
Alles stammt aus dem Neudorfer Eiscafé Primavera. Auch in diesem Fall hat es sich für Nicole Franke bewährt, auf einen erfahrenen Partner zu setzen. Die langen Schlangen an Sommertagen sprechen für sich.
Zusammenhalt während der Pandemie
Nicole Franke hat aber auch die Schattenseiten des Geschäfts kennengelernt. Während des Lockdowns konnte sie keine Eisbecher servieren. Frühstück und Mittagessen in den Räumen an der Oststraße waren untersagt. Und die Absage der Veranstaltungen legte das Büffetgeschäft lahm. „Jetzt zieht es wieder an“, sagt Nicole Franke.
In der schwierigen Zeit fand sie Halt bei ihrem Mann. „Und eine sehr gute Freundin hat mich immer unterstützt“, betont Franke. Sie wiederum war da für ihre Belegschaft. Auch wenn der Umsatz ausblieb, kamen Kündigungen nicht infrage. „Ich habe doch eine Verantwortung für das Team“, sagt Franke.
Sie ist eine Kämpferin, die nicht aufgibt. „Bis zur Rente möchte ich die Läden noch führen“, sagt Nicole Franke. Auch in ferner Zukunft sollen die Kunden die Geschäfte an der Oststraße noch aufsuchen – für Frikadellen, Kuchen und Eis.
Denis de Haas