Über das Glück, zu kündigen
Lange waren Sojasauce und Instantnudeln der große Traum von Mai und Uli Doan. Für ihn kündigten sie mitten in der Corona-Pandemie ihre gut bezahlten Jobs, opferten all ihre Ersparnisse, verschuldeten sich. Zwei Jahre nach der Eröffnung des ChoMUi, eines Lebensmittelmarktes für asiatische Produkte und Esskultur, arbeitet das Paar 14, manchmal 15 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Für weniger Geld. Trotzdem sind beide jetzt zufriedener. „Wenn wir in den Laden kommen, sind wir zu Hause“, sagt Uli.
„Andere kaufen sich ein Reihenhaus, wir haben uns mit dem Laden unsere Zukunft gekauft.“
Das ChoMUi ist mehr als nur ein Asialaden. Es ist Herzblut und Leidenschaft. Wer von der Straße am Marktplatz von Wanheimerort durch die großen Schaufenster sieht, denkt zuerst an ein Café. Holztische stehen hier, in der Vitrine neben der Kasse liegen frische Sesambällchen und luftige Frühlingsrollen. Schon mit elf hat Mai ihrer Mutter in der Küche geholfen, als Sales Managerin einer Chemiefirma jettete sie um die Welt und schickte Uli Fotos – natürlich vom Essen. Mittlerweile hat die 42-Jährige nach 15 Jahren im Vertrieb das Businesskostüm gegen eine schwarze Küchenschürze getauscht und kocht die Gerichte von ihren Reisen und die vietnamesischen Rezepte ihrer Mutter und Oma in Duisburg nach. „Meine gebratenen Nudeln müssen bunt sein, mit viel Gemüse. Wie bei Mama zu Hause“, sagt sie.
In der Profi-Edelstahlküche hinter dem modernen, großzügig gestalteten Laden gießt Mai Kokosmilch zu den pürierten Mungobohnen im Mixer. Am Kühlschrank hängt eine To-Do-Liste, aber Mai wirkt tiefenentspannt. „In meinem alten Job habe ich nur aus Koffern gelebt, jetzt bin ich angekommen“, sagt sie mit einem breiten Lächeln. „Im Vertrieb war alles so oberflächlich, es gab nur noch Druck.“ Auch Zahntechniker Uli musste „nur noch powern; es ging nur darum, Geld zu machen“. Dann kam Corona, Homeoffice, 24 Stunden am Tag die enge Wohnung. Also suchten die beiden nach einer neuen Wohnung und sahen sich bei der Gelegenheit auch gleich nach einem Ladenlokal um.
Ohne Netz und doppelten Boden
Konzepte für die Selbstständigkeit – einen Laden, ein eigenes Café, ein Bistro – hatten die beiden schon lange in der Schublade. „Immer wenn wir essen waren, haben wir alles auseinandergenommen. So würden wir das nicht machen, das kann man besser …“, erzählt Mai schmunzelnd. Das Paar ergänzt sich gut. Uli ist durch frühere Jobs mit Warenwirtschaftssystemen vertraut, Mai Expertin für Vertrieb und Marketing. Trotzdem war die Kündigung der sicheren Festanstellung ein Wagnis ohne Netz und doppelten Boden: Im Dezember 2020 unterschrieben sie den Mietvertrag für das Ladenlokal in Wanheimerort, im Corona-Sommer 2021 – nach einer schlaflosen Nacht – dann die Eröffnung. Kaum gab es die ersten Stammkunden, machten ihnen die Krisen des letzten Jahres Probleme.
„Andere kaufen sich ein Reihenhaus, wir haben uns mit dem Laden unsere Zukunft gekauft“, sagt Uli, der zusammen mit seiner Frau alle Ersparnisse in die neue GmbH investiert hat. „Im letzten Sommer dachten wir, wir müssen zumachen. An unserer Entscheidung haben wir aber nie länger als einen halben Tag gezweifelt.“ Ab dem Winter 2022 ging es dann tatsächlich bergauf. Ein Kunde brachte das Ehepaar auf die Idee, ihre Produkte auf Märkten zu verkaufen. Auch zwei asiatische Restaurants ließen sich inzwischen mit Lebensmitteln und hin und wieder ein paar selbstgemachten Leckereien beliefern, erzählt Mai Doan und drückt prüfend auf die Cha Lua, eine Art vietnamesischer Mortadella, die ihr Vater immer gerne mochte und die jetzt sorgsam in Bananenblätter gewickelt im Dampfgarer liegt. Es macht sie stolz, wenn sie die Liebe zur Küche ihres Heimatlandes nicht nur den deutschen Kunden vermitteln kann, sondern auch Vietnamesen ihre hausgemachten Spezialitäten mögen.
Was wirklich wichtig ist
„Klar, 90.000 Euro im Jahr hat man nicht mehr. Aber ich habe mich gefragt: Wie viele Schuhe und Taschen brauche ich eigentlich? Und gemerkt, dass es auch mit weniger geht“, meint Mai. „Wir haben jetzt ein ganz anderes Verhältnis zum Leben. Die Arbeit ist viel menschlicher, man lernt so viele nette Leute kennen.“ Da ist zum Beispiel der Zahnarzt, der mit seinem Auto mitten auf der Kreuzung hält, um Uli zur leckeren Pho Bo, einer vietnamesischen Nudelsuppe mit hausgemachten Rinderbällchen, zu gratulieren. Oder das ältere Paar, das im Auto ein paar Snacks knabbert und dann noch einmal zurückkommt, um Nachschub zu kaufen. Die Stammkunden, die telefonisch vorbestellen und gleich drei Tupperdosen mitbringen.
„Wie viele Schuhe und Taschen brauche ich eigentlich?“
Süßer vietnamesischer Kaffee dampft auf dem Tisch. Daneben liegt eine laminierte Karte, die Toppings fürs „Croffle Frühstück“ auflistet, eine koreanische Mischung aus Croissant und Waffel. Fürs Mittagessen bereitet Mai, die im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland kam, immer nur ein Gericht zu, mal chinesisch, mal japanisch, vietnamesisch oder thailändisch. Die Rezepte testet sie in ihrer Freizeit. Dazu gibt es kleine unkomplizierte Snacks und Instantsuppen, die die Inhaberin auf Wunsch mit frischen Zutaten nach Wahl zur vollwertigen Mahlzeit verfeinert. Anfangs haben die Doans abends zu Hause die Reste des Tages gegessen, heute bleibt kaum mal etwas übrig – auch wenn nicht jede asiatische Köstlichkeit in Duisburg gleich gut ankommt.
„Die Frühlingsrollen sind das Sonnenstudio, der Mungobohnenkuchen ist der Friseursalon“, sagt Mai heute und lacht. „Jedes Gericht hat seine Stammkunden.“ Und die kommen nicht nur aus der unmittelbaren Nachbarschaft des ChoMUi, das übersetzt ganz einfach „Markt von Mai und Uli“ bedeutet. Was Mai Doan in ihrer Küche zaubert, findet auch über die Grenzen von Wanheimerort hinaus seine Fans, zum Beispiel bei der DoKomi, Deutschlands größter Anime- und Japan- Expo in Düsseldorf. Das Catering ist für sie und ihren Mann neben dem Cafébetrieb und dem Umsatz im Laden ein kleines Extra, das Spaß macht. Doch irgendwann wollen die beiden mit einem zweiten Supermarkt expandieren oder vielleicht einen eigenen Foodtruck haben.
Tante-Emma aus Fernost
Bis es so weit ist, halten die Doans vor allem in ihrem asiatischen Tante-Emma-Laden den Servicegedanken hoch. Sie begleiten ihre Kunden durch die Regale voller Tee, Süßigkeiten, Saucen und Pasten, erklären, welche der acht Sorten Sojasauce für den gewünschten Zweck die richtige ist, helfen (auch auf ihrer Internetseite) mit authentischen Familienrezepten weiter. Auf 200 Quadratmetern findet nahezu jedes asiatische Land seinen Platz: Es gibt eine Japan- Ecke, Korea- und Thailand-Regale.
Ausgefallene Produkte wie das Durian-Eis oder den Milchfisch sucht man anderswo vergeblich. Auch einem jungen Start-up, das Ramen-Suppen vertreibt, den Mangas einer Duisburger Zeichnerin und lokalem Honig aus Wanheimerort bieten die Doans Regalfläche.
Uli steht an der Kasse und zeichnet große Tüten voller Chilischoten aus. Gestern, am Sonntag, sind die Unternehmer um vier Uhr früh aufgestanden, um Reispapier, Nudeln und japanische Limonaden auf dem Flohmarkt zu verkaufen. Müde wirkt keiner von beiden. „Es ist ja nur ein Supermarkt“, meint der 47-Jährige achselzuckend, „aber wir haben hier einen Traum verwirklicht.“
Dass die Doans allen Widrigkeiten zum Trotz ihren Traum leben, merkt man ihnen in jeder Sekunde an. Selbst die Zweifler in der Familie, die sie für verrückt erklärt hatten, sind längst überzeugt. Inzwischen hat das Glück der beiden sogar andere angesteckt. Mais Schwester, eigentlich Bankerin in Frankfurt, möchte nun eines Tages selbst ein vietnamesisches Café eröffnen.