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Ein Fest, sechs Menschen

Die Salvatorkirche am Burgplatz ist an Heiligabend gerappelt voll. Das Krippenspiel dort hat Tradition, wie Pfarrerin Esther Immer erklärt. Mit ihrem Kollegen Pfarrer Stephan Blank, der jedes Jahr das Krippenspiel schreibt, hält sie um 16 Uhr den Gottesdienst ab. Zwar genießt die 42-Jährige die vielen Gottesdienste, aber das Weihnachtsfest ist für sie immer eine Herausforderung. Die Mutter von drei Kindern muss Familie und Beruf unter einen Hut bekommen. Dass ihr Ehemann auch als Pfarrer arbeitet, macht den Alltag in der Adventszeit nicht unbedingt leichter. „Durch die Arbeit ist es zu Weihnachten immer etwas stressig“, sagt sie. Und dennoch: Jeden Sonntag in den Wochen vor Weihnachten kommt die Familie zusammen, um die nächste Kerze auf dem Adventskranz anzuzünden. Sie singen gemeinsam Lieder, erzählen Weihnachtsgeschichten oder lesen Gedichte vor.

Ein klassisches Bild, das an das althergebrachte Weihnachten erinnert, in der die christliche Tradition fortlebt. „Für mich gehört zu Weihnachten, dass die christliche Botschaft im Vordergrund steht“, sagt Esther Immer. Das kennt die Pfarrerstochter bereits aus ihrer Kindheit. An ein Fest erinnert sie sich besonders: Damals bastelte sie mit ihren Geschwistern alle Geschenke selbst. Fotos zeigen sie, wie sie die Unmengen an Päckchen auf den kleinen Kinderarmen balancieren. „Wir versuchen, Weihnachten auch heute so zu feiern wie damals in meinem Elternhaus“, sagt sie.

Für Alexander Drehmann ist Weihnachten einfach eine schöne Zeit. Er genießt die arbeitsfreien Tage, an denen er entspannen kann, Freunde besucht, auch nichtjüdische. Der 36-jährige Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen liebt den Geruch des Weihnachtsmarktes. „Ich gehe da sehr gerne drüber, ohne jedoch etwas zu kaufen, weil das meiste nicht koscher ist. Die Gerüche sind toll. Die Atmosphäre ist auch sehr festlich. Aber Weihnachten ist für mich eben kein Feiertag.

Acht Kerzen und Berliner

Während sich Christen mit vier Kerzen auf dem Adventskranz auf das Weihnachtsfest vorbereiten, feiern die Juden im fast gleichen Zeitraum das Chanukka genannte Lichterfest. Es soll an die Wiedereinweihung eines jüdischen Tempels in Jerusalem erinnern. Jede jüdische Familie besitzt einen achtarmigen Chanukka-Leuchter, die Chanukkia. Übrigens ist der allgemein als Symbol des Judentums bekannte siebenarmige Leuchter, die Menora, nicht identisch mit der Chanukkia. in vielen jüdischen Familien entzünden die Kinder die acht Kerzen. Acht Tage lang wird jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit eine Kerze mehr angezündet. Dabei werden Gebete gesprochen, es werden Lieder gesungen und die Chanukka-Geschichte wird erzählt. „Man isst meistens auch was Süßes: Berliner oder Krapfen, wie man in Bayern sagt“, weiß Alexander Drehmann aus eigener Erfahrung. Denn der gebürtige Ukrainer ist 1994 nach Deutschland ausgewandert, dann in Bayern aufgewachsen und jetzt in Duisburg gelandet.

Weihnachten und das jüdische Chanukka sind zwei vollkommen verschiedene religiöse Feste. Doch es gab und gibt auch Vermischungen. Weihnukka bezeichnet die Vermischung von Bräuchen beider Feste. Entstanden zunächst innerhalb des gutbürgerlichen deutschen Judentums im 19. Jahrhundert, wurde Weihnukka nach dem Zweiten Weltkrieg besonders in den Vereinigten Staaten beliebt. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Weihnachtsfest kam es beispielsweise zur Übernahme von Traditionen wie dem Schmücken eines Baumes. Alexander Drehmann hält selbst nichts von dieser Vermischung. „Die Welt lebt ja von der Pluralität. Schuster, bleib bei deinen Leisten“, sagt er dazu nur. Für ihn ist Weihnachten eine Zeit, die man genießen kann im Kreise der Familie. Ohne religiösen Hintergrund.

Viel Gemeinsames

Neben den Unterschieden zwischen beiden Festen gibt es aber auch Gemeinsames. „Das Chanukka-Fest bezieht die Kinder stark mit ein, und auch das Familiäre spielt eine ganz wichtige Rolle. Da sind wir uns wieder sehr nah“, betont Drehmann.

Mit zwei Familien feiert Pater Tobias von der Abtei Hamborn das Weihnachtsfest. Die eine sind seine vielen Geschwister und deren Kinder und Enkel im münster­ländischen Selm, wo der Geistliche geboren wurde. Die andere ist seine „klösterliche Familie" bei den Prämonstratensern im Duisburger Norden. Beide verbindet die Geschichte, warum Pater Tobias sich für das Leben als Mönch im Hamborner Kloster entschieden hat. Der 52-Jährige stammt aus einem religiösen Elternhaus. Als Andreas Breer, wie Pater Tobias mit bürgerlichem Namen heißt, mit knapp 13 Jahren früh seine Mutter verlor, stürzte ihn das in eine Krise. „Es war eine Zeit, in der ich wenig mit Gott zu tun hatte“, sagt er. Er verstand nicht, warum Gott ihm seine Mutter genommen hatte. So machte er eine Ausbildung beim Autohersteller BMW. Dann begriff er: „ich wollte nicht, dass mein Leben dort endet.“ Dass im Selmer Stadtteil Cappenberg Jahren trat er dann in den Orden ein. „ich habe hier meine Berufung gefunden“, sagt er. Und das Weihnachtsfest ist in gewisser Weise für Pater Tobias der Inbegriff dieser Berufung: „Mit der Geburt Jesu beginnt das Christsein“, sagt er.  Was ihn aber heutzutage stört, ist, dass Geschenke und Kommerz immer mehr überspielen, worum es eigentlich bei Weihnachten gehen soll — Nächstenliebe. in seinen Fürbitten betet Pater Tobias für all jene Menschen, die in Armut und Krieg leben.

„Ich will für die Menschen da sein, die Geborgenheit suchen“, sagt er. in diesen Tagen bekommt dies eine ganz aktuelle Bedeutung für ihn. Er denkt dabei an die vielen Menschen, die aus ihren Heimat­ländern nach Deutschland flüchten. „Was zurzeit passiert, das erinnert mich an die Geschichte von Josef und Maria. Sie wollte auch niemand haben.“ Menschen, die auf der Flucht sind, das war schon Thema zu biblischen Zeiten.

Den Menschen helfen

Umso wichtiger erscheint es Pater Tobias, diese Menschen mit offenen Armen zu empfangen. Mit seinem Projekt „Lebenswert“ hilft er schon lange armen Menschen im Duisburger Norden — und jetzt auch Flüchtlingen. Das Weihnachtsfest werden einige von ihnen in der Herz-Jesu-Gemeinde feiern, in der Pater Tobias tätig ist. „Darunter sind auch Muslime, die offen für Weihnachten sind“, sagt er. Dass er als Ordensmann sie einlädt, macht für ihn einen Teil seiner Arbeit als Seelsorger aus. Sie sollen Heiligabend nicht alleine in einer Turnhalle verbringen.

Alleine verbringt auch Necati Mert Weihnachten nicht. Der 56-Jährige hat zwei Kinder und mittlerweile auch drei Enkel. ob der Vorsitzende des Marxloher Merkez-Moschee-Vereins das Weihnachtsfest feiert? „Nein“, sagt er, „Muslime und Christen haben eben getrennte Feiertage.“ Er lässt es sich aber nicht nehmen, zu Weihnachten seinen christlichen Bekannten und Freunden zu gratulieren. Das gehört für ihn zum Miteinander. Ebenso lädt er während des Ramadans immer Gäste zum Fastenbrechen in die Moschee ein.

Gemeinsamer Feiertag

Der heilige Monat endet dann mit dem Zuckerfest. Und hier kann es durchaus passieren, dass Moslems und Christen gemeinsam einen Feiertag begehen, wie etwa im Jahr 2000. Hier fielen das Ende des Fastenmonats und der zweite Weihnachtstag zusammen. Das liegt am muslimischen Mondkalender, nach dem sich der Ramadan jedes Jahr um ein paar Tage verschiebt, wie Necati Mert erklärt. Dass Weihnachten und das Zuckerfest zusammenfallen, bleibt aber eine Ausnahme. Keine Ausnahme ist es, dass es zu beiden Festen Geschenke gibt. Geld und Süßigkeiten sind es bei den Moslems. „Der Feiertag ist aber auch dazu da, die älteren Mitmenschen zu besuchen“, sagt Necati Mert. Und was bei den Christen Nächstenliebe heißt, ist ohnehin ein wichtiger Bestandteil des Islam. „Es gehört für uns zum Glauben, armen Menschen zu helfen“, erklärt Necati Mert. Aber auch wenn Necati Mert Weihnachten selbst nicht feiert, so weiß er, dass es Muslime gibt, die es durchaus tun. „Das muss jede Familie selbst entscheiden“, sagt er. Das christliche Fest drängte auch schon in seinen eigenen Alltag. Er kennt die Situation, dass die Kinder fragen: „Warum steht bei uns zu Hause kein Weihnachtsbaum?“ Er hat ihnen dann immer erklärt, worin der Unterschied zwischen Christentum und Islam besteht und warum sie Weihnachten nicht feiern. Das dürfte oft nicht einfach gewesen sein. So taucht doch auch Jesus als Prophet im Koran auf. Muslime messen ihm aber eine andere Rolle bei. „Christen sehen in Jesus den Sohn Gottes. Das sieht der Islam anders, bei uns hat Gott keine Kinder.“

A Nabel Cantú Flores Reimann indes feiert Weihnachten. Mit dem deutschen Brauchtum hatte sie aber auch ihre Schwierigkeiten. Als sie Anfang der 1990er-Jahre erstmals Weihnachten in Deutschland feierte, hatte sie sich auf eine Party eingestellt. „Das war ich aus meiner mexikanischen Heimat nun mal gewohnt“, erzählt Anabel Cantú Flores Reimann. Doch in der Kirche erlebte sie ein Kontrastprogramm: Die Mexikanerin blickte in ernste Gesichter, hörte melancholische Lieder und erlebte distanzierte Mitmenschen.

Stille Nacht — das passte nicht zu ihr. Für Anabel Cantú Flores Reimann gehören Gitarrenklänge, lautstarke Wechselgesänge und Spiele zur Weihnachtszeit dazu. Deshalb ist sie froh, in der spanischsprechenden Gruppe der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in Duisburg-Mitte Gleichgesinnte gefunden zu haben. Diese besteht seit 1964 und hat derzeit mehr als 100 Mit­glieder. Zu den Gottesdiensten an der Juliusstraße in Hochfeld begrüßt Pastor José Manuel González Christen aus insgesamt 21 Nationen. Spanier und Deutsche feiern gemeinsam mit Peruanern, Chilenen und Kolumbianern. Aber auch Serben, Chine­sen und Marokkaner gehören der Gemeinde an. „Und jede Nation bringt bei Feiern ihre eigenen Bräuche mit ein“, erklärt Anabel Cantú Flores Reimann.

Inszenierung der Herbergssuche

Die Mutter von drei Töchtern hat an der Juliusstraße auch schon die Vorweihnachtszeit auf mexikanische Art gefeiert. in Anlehnung an die sogenannten Posadas inszenierte die Gemeinde die Herbergssuche von Maria und Josef. Eine Gruppe schlüpfte in die Rollen des Zimmermanns und seiner schwangeren Frau, die singend um eine Unterkunft bitten. Eine andere Gruppe mimte den Gastwirt samt Gästen, die Maria und Josef den Zutritt verwehren. „Das Ganze wird mit Instrumenten lautstark begleitet“, erklärt Anabel Cantú Flores Reimann, die unter anderem Klavier und Gitarre spielt. Bei der Musikauswahl beschränkt sich die Gemeinde nicht auf traditionelle Lieder. Auch Popsongs wie “the Power“ von Snap beschallen den Raum. Schließlich ist die Zeit um Weihnachten für Anabel Cantú Flores Reimann und Co. eine große Party. Am vierten Advent kommen dazu auch Tortillas und Enchiladas auf den Tisch. Dieser Tag markiert den Höhepunkt der Vorweihnachtsfeier. „An Heiligabend ist dann jeder mit seiner Familie zu Hause“, sagt Anabel Cantú Flores Reimann. Sie und ihr Mann laden aber noch Freunde und Verwandte ein — so ist es Brauch in Mexiko. „in Spanien und Lateinamerika spielt die Gastfreund­schaft an Weihnachten eine große Rolle“, betont sie.

Gastfreundschaft ist auch für Brigitte Okon wichtig. Sie ist Buddhistin. ihren Glauben praktiziert sie im Buddhistischen Zentrum Duisburg im Stadtteil Homberg. Dort ist jeder willkommen, der sich für die Lehren Buddhas interessiert. Und was ist mit dem Weihnachtsfest? Auch das ist in Homberg durchaus willkommen. Die meisten der rund 44 Mitglieder des Vereins sind christlich erzogen worden. Brigitte Okon ist hier keine Ausnahme. ihre Eltern ließen sie taufen und sie empfing die Kommunion. „irgendwann stellte ich mir dann Fragen, die das Christentum nicht beantworten konnte“, erklärt sie den Grund, warum sie zum Buddhismus konvertiert ist.

Es waren Fragen nach dem Sinn des Lebens: Warum sind wir hier? Wo führt unser Weg hin? Am christlichen Glauben störte sie, dass vieles auf die Existenz Gottes geschoben wurde. Dass die Wege Gottes unergründlich seien, reichte ihr als Antwort auf viele Aspekte des Lebens nicht aus. Der Buddhismus hingegen sieht den Menschen selbst als Ursache für alles Gute oder Schlechte, was ihm widerfährt. Mit seinen Gedanken und Handlungen beeinflusst er, wie sein Leben verläuft. Es ist das Prinzip von Ursache und Wirkung — oder eben Karma, wie es im Buddhismus heißt. „Es liegt alles in meiner Verantwortung“, sagt Brigitte Okon.

Das volle Programm

Das trifft auch auf Weihnachten zu. Der Buddhismus kennt keine Dogmen. Daher ist es auch nicht verboten, das Fest zu feiern. Und die 54-Jährige hat sehr lange ganz normal den Heiligabend gefeiert. „Als meine Tochter noch klein war, da hatten wir zu Hause das volle Programm“, sagt sie. Weihnachtsbaum. Flöte spielen. Lieder singen. Geschenke auspacken. „Das gehörte für mich dazu.“ Und nicht zuletzt ist es so, dass ihre Familien und Freunde in der Regel keine Buddhisten sind. Weihnachten ließe sich schwer einfach beiseiteschieben und völlig ignorieren. „Dann würde nur der Familienfrieden schief hängen“, sagt Brigitte Okon. Aber in Deutschland ist es nun einmal so, dass Weihnachten ohnehin ein Stück seines Stellenwerts verloren hat. Längst nicht jede Familie besucht noch Gottesdienste und viele Menschen verzichten auf ein opulentes Fest, wenn die Kinder erstmal aus dem Haus sind.

Auch Brigitte Okon ist hier keine Ausnahme. Ihre Tochter ist mittlerweile 18 Jahre alt und interessiert sich ebenfalls für den Buddhismus. So fällt in der Familie Okon auch das Weihnachtsfest kleiner aus. Der Tannenbaum ist verschwunden. Stattdessen gibt es nur einen „Tannenzweigstrauß“ in der Wohnung von Brigitte Okon. Was für sie bleibt, das ist aber die Botschaft des Weihnachtsfestes. Sie findet sich auch im Buddhismus wieder. „Was wir auch unterstreichen können, ist, anderen Menschen Freude zu bringen“, sagt sie. Und Jesus, der ist in ihren Augen im Grunde auch ein Buddhist gewesen. Was er gepredigt hat, das macht auch ihren heutigen Glauben aus. So verschieden sind Christen und Buddhisten dann doch nicht. In der Adventszeit treffen sich die Mitglieder des Buddhistischen Zentrums auch immer zum Weihnachtsessen. Und auf den Tisch kommen Knödel und Gänsebraten. Ganz normale Weihnachten eben.

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