Glühwein zum Lutschen
Der Besuch bei der Bonbonfabrik Wilhelm Müller ist ein Fest. Ganz tief im Westen, wo der Knöterich staubt, duftet es nach Anis und Advent. Die Menschen sind nett und gut gelaunt. Das Inventar im Büro sieht urgemütlich nach früher aus. Die Bilder an der Wand erzählen von vergangenen Zeiten. in der Produktion direkt nebenan prasseln die Leckereien munter scheppernd vom Band. Es ist, als stünde man in der Küche des Weihnachtsmannes. oder sei zu Gast beim offiziellen Lieferanten des Christkindes. Und erst das Lager: Kinderherzen würden hier lachen, dass es bis zur anderen Rheinseite zu hören wäre.
16 Kräuter für den Hals
Aus Friemersheim von einem Unternehmen in einer Seitenstraße kommen die Glühweinbonbons. Das rot-weiße Naschwerk, das auf jedem Weihnachtsmarkt ein Renner ist. Hier vermischen sich 16 Kräuter zu Hustenbonbons, die selbst beim ärgsten „Uselswetter“ das Kratzen im Hals nehmen. Hier darf man probieren. Hier lernt man staunen. Nur einmal wird’s kurz streng: Kaum zeigt sich der Gast an der Tür zur Zuckerküche schaut der Bonbonmacher Thorsten Sawetzki auf und zeigt, wo es Kittel und Kopfschutz gibt. Wenn es um Sauberkeit und Hygiene geht, hört der Spaß auf. Nur gucken, nichts anfassen.
Gerade wird kein Glühwein in Form gepresst. Schwarze Lakritz Bonbons stehen auf dem Produktionsplan. Zwei glänzende Schaufeln schieben sich zum Teig. Packen zu. Einmal, zweimal, dreimal. Dann fahren sie auseinander. Handarbeit ist gefragt. Thorsten Sawetzki greift die schwarze Masse und walkt sie fast spielerisch. Wirft sie auf die rotierende Kühlplatte. Überlässt sie wieder der Kraft der beiden stählernen Schieber. Immer und immer wieder geht das so. Der junge Mann wirkt eher drahtig als muskelprotzig. Doch er hat Kraft. 33 Kilo wiegt der Teig pro Charge. in der Hochsaison packt der Bonbonmacher der Rheinhauser Leckerschmecker zehn Stunden pro Schicht zu. leicht sieht das aus. ist es aber nicht. Und heißt geht es auch her: Über 100 Grad hat die zuckrige Masse. Das hält sie geschmeidig.
Der Bonbonmacher schneidet sie mit einer großen Schere in lange Bahnen. Die offizielle Berufsbezeichnung lautet übrigens nicht Bonbonmacher, sondern Fachkraft für Süßwarentechnik. Klingt jedoch deutlich weniger weihnachtlich. Thorsten Sawetzkis Schwester, Melanie Finger, führt sie in eine Art Walze und Stanze ein. Die Maschine bringt den schwarzen Stoff in Bonbonform, kühlt ihn ab. Bis die Stücke nach ein paar Metern scheppernd in ein Sieb fallen. Praktisch genussfertig. So also werden Bonbons gemacht. aus viel Zucker und Zutaten wie Anis oder Kräuterextrakten. Mit der Kraft von Maschinen, vor allem aber mit viel Geschick und Geschmack.
Naschen erwünscht
Naschen ist erlaubt. Melanie Finger mag die Glühweinbonbons am liebsten, wenn sie noch leicht warm sind, wie sie sagt, und man hört aus ihrer Stimme den Genuss heraus. Naschen ist sogar geboten, wenn Geschäftsführer Heinz-Peter Sistenich, der seit über 50 Jahren in der Firma tätig ist, eine neue Kreation entwickelt. „alle hier probieren. Wir wollen wissen, ob das neue Bonbon wirklich lecker ist“, sagt er. Zum Beispiel die Kibas, die Kirsche und Banane zusammenbringen. Da kommt es auf Nuancen an. Ein bisschen mehr von diesem, ein bisschen weniger von jenem. Was genau „dieses“ oder „jenes“ ist, sagt er nicht. Die Rezepte sind geheim, werden im Tresor aufbewahrt. Die Süßigkeiten sollen im Wortsinne unnachahmlich sein. Nur so gewinnt man Weltruf und behält ihn auch: Die Stände der Bonbonfabrik gehören auf den Weihnachtsmärkten der Region dazu wie das Riesenrad, die Eisbahn oder der Glühwein in der Tasse. Was er verrät: Alkohol gehört nicht zur Rezeptur. Doch die süße Vorfreude aufs Fest wecken die Müllers mit ihren Kreationen auch in Berlin oder Saarbrücken. auf Märkten in den USA und Kanada fragen die Kunden nach den Glühweinbonbons. Nein, es gibt keine Übersetzung für das Wort. alles muss auch da schön deutsch sein. Das spricht für die Qualität.
Und wenn es etwas gibt, das sich Heinz-Peter Sistenich auf der Zunge zergehen lässt wie ein Kräuterbonbon, dann ist es das Wort „Qualität“. Es ist sein Mantra, es war das Leitwort seines Schwiegervaters Wilhelm Müller, der das Unternehmen 1949 gründete. Einst gab es drei Bonbonfabriken in Duisburg. Jetzt kocht nur noch in Friemersheim der Sirup im Kupferkessel. Das hat mit der Qualität zu tun. Nur die besten Zutaten kommen in den Teig. Das Menthol kauft man in China, das Anisöl in Spanien. Künstliche Aromen? aber auf gar keinen Fall! Zum Färben der Süßwaren würde der eine oder andere Tropfen aus dem Chemiewerk genügen. in Friemersheim stammen das rot aus roter Bete und das Grün vom Spinat.
Perfektion dank Handarbeit
Ohne Frage, die Produktion ließe sich vereinfachen. Der Teig muss nicht Charge für Charge einzeln gekocht werden. „Dann aber ist nicht sichergestellt, dass wir wirklich immer das gleiche Mischungsverhältnis erhalten“, so Sistenich. Handarbeit ist aufwändig. aber: „Wir wollen auch sicher sein, dass unsere Zutaten sich perfekt mit der Bonbonmasse verbinden und wirklich in jeder Ecke des Teiges ihren Geschmack entfalten“, sagt er weiter. Die Maschinen sind Jahrzehnte alt. Sie werden intensiv gepflegt und gewartet. Es gibt keine besseren.
Süße „Medizin“
Bei Wilhelm Müller geht es darum immer um das Beste, was möglich ist. Knöteriche, die kleinen beigen, lakritzigen rollen, stellt Bonbonmeister Fritz Fischer selbst her. Früher kaufte man sie ein. Der ehemalige Zulieferer gab die Produktion auf. Zum Freundschaftspreis überließ man die Presse an Wilhelm Müller. Doch dann machte der Chef nicht einfach weiter. Man verfeinerte das Rezept auch gleich. lohnend übrigens. Denn der Knöterich-Umsatz stieg. Die herausragende Qualität sichert den Bonbonmachern ihren Platz auf dem Markt. Und zwar nicht nur auf dem Weihnachtsmarkt oder den Wochenmärkten in der Innenstadt und in rheinhausen. auch in Apotheken werden die Hustenbonbons und Glühweinbonbons deutschlandweit und in Österreich verkauft. Die Marke trägt den Namen Ariosan. Wer sagt, dass Medizin immer bitter sein muss?
Wie hatte es der Firmenchef mal auf einer Messe im Gespräch mit den befreundeten Konkurrenten von Haribo oder Vilosa gesagt, als die von ihren großen Produktionszahlen erzählten. „Wir machen nur eine Tonne am Tag. Die aber mit liebe.“ Doch Vorsicht: auch so eine Tonne rechnet sich in große Zahlen um. Genau 3,3 Gramm wiegt ein Bonbon. im Jahr kommt das Unternehmen so auf 50 Millionen Stück. Produziert und verkauft von fast 50 Mitarbeitern in einer „Fabrik“ in einer Wohnsiedlung in rheinhausen-Friemersheim.
Die Verbindung von liebe und Qualität ist das Geschäftsprinzip. Wilhelm Müller, der Schwiegervater von Heinz-Peter Sistenich, hatte sich nach dem Krieg aus diesem Grund selbstständig gemacht. Damals war es üblich, „Edelstein Gelb“ zum Färben in die Bonbons zu mischen. Wilhelm Müller hatte gelesen, dass der Zusatzstoff möglicherweise gesundheitsschädlich sei. Er sprach seinen Chef an, doch der wollte nichts von solchen Einwänden hören. Da ging Wilhelm Müller seinen eigenen Weg. Er setzte allein auf Qualität. Seine Kunden sollten sich ohne Sorge jedes einzelne Stück auf der Zunge zergehen lassen. „ohne künstliche Zusatzstoffe“ steht aus Familientradition auf den Packungen. So war es, so ist es und so bleibt es. Das gilt übrigens auch, wenn Heinz-Peter Sistenich sagt: „Bei uns ist alles koscher.“ Das meint er wörtlich. Die Bonbons entsprechen jüdischen Speisevorschriften. Halal sind sie zudem. Man muss das Fest nicht Weihnachten feiern, um auf den Geschmack der Weihnacht zu kommen. Vegan sind die Produkte. Zuckerfreie Bonbons gibt es im Regal mit 50 Sorten natürlich auch. Was die Frage nach der Gesundheit bringt in einem Unternehmen, das Zucker säckeweise lagert. Heinz-Peter Sistenich verweist dann auf einen eingerahmten Spruch an der Wand. „Die Dosis macht das Gift“, schrieb der Arzt Paracelsus ein. Das gilt auch für die Bonbons. Eines davon schön langsam auf der Zunge zergehen lassen und den Geschmack auskosten, dann wird klar: Was mit liebe gemacht ist, kann nicht Sünde sein.