Rock im Bunker
Bunkerluft. Schwer, staubig und feucht, gestaut zwischen Betonwänden. So dick, dass selbst das Handy ohne Empfang ist. Keine Fenster, kein Tageslicht. Nur kalte Neonröhren. Ein Ort der Beklemmung und der Stille? Nein, ein Ort der Kreativität und des Krachs. Hier, im alten Luftschutzbunker an der Marientorstraße, haben Bands ihre Proberäume. Wo einst Menschen Zuflucht vor den Bomben fanden, donnern heute die Bässe aus den Boxen.
Die erste Single steht an
Erste Etage, Zimmer 117. 30 Quadratmeter. Es ist warm hier drin. Und laut. Ohrstöpsel-laut. Philip Roschat (29) umklammert mit der rechten Hand ein Mikrofon. Er singt, schreit den Song „Master of Light“, die erste Single, die seine Band bald aufnehmen Schlagzeug. Lukas Gerdemann (22) und Leander Özgen (23) schrubben die Gitarren, Inga Kosbab (22) bearbeitet den Bass. Leonie Sieger (23) drückt am Keyboard die Tasten. Zusammen sind sie Aereum.
Keine Klischees erfüllen
Gegründet hat sich die Band im Juni 2017. Und seitdem spielen sie Musik, die sie als Melodic Death/Heroic Folk Metal beschreiben. „Was genau das ist, darüber sind wir uns noch nicht ganz einig“, sagt Frontmann Philip Roschat. Einig sind sich die sechs Musiker nur darüber, was sie nicht tun: Sie wollen keine Klischees erfüllen, die in ihrer Szene verbreitet sind – also keine nordische Mythologie in den Songtexten, nichts mit Wikingern und Rittern ... „Wir wollen einfach gesellschaftskritische, moderne Musik machen.“
Dass die Band überhaupt einen Raum zum Proben aufgetan hat, sei „ein Riesenglück“ gewesen, sagt Aereum-Sänger Philip. „Wir hatten damals im Internet gesucht und rechtschnell was gefunden – das ist sehr untypisch. “Proberäume, davon berichten die sechs Musiker, sind Mangelware in Duisburg. Wie groß die Nachfrage und wie gering das Angebot ist, haben sie gerade erst wieder bemerkt, als sie einen neuen Untermieter für ihren Proberaum suchten. „Wir hatten eine Online-Anzeige geschaltet“, sagt Philip Roschat, „danach stand das Telefon kaum still.“ Städtische Proberäume gibt es nicht in Duisburg. Das macht die Suche nicht einfacher. „Der Stadt ist dieses Problem durchaus bewusst“, sagt Daniel Jung vom Kulturbüro. „Um es zu lösen, wird in alle Richtungen gedacht. Und ich bin guter Hoffnung, dass da in der Zukunft etwas passieren wird.“ Bis es so weit ist, setzt Daniel Jung auf die Kraft des Netzwerkens. „Wenn ich mitkriege, dass irgendwo Proberäume frei sind, schreibe ich die Info in den Newsletter des Kulturbüros“, sagt er. „Dann schicke ich den in die Szene, und die Leute können sich das angucken. Der Bedarf ist schließlich da.“
Proberäume sind schwer zu finden
Und er ist so groß, dass die Band Aereum in ihrem Proberaum derzeit sogar drei Untermieter hat. Darunter eine Metal-Core-Truppe, die noch keinen Bandnamen hat, und ein Dudelsack-Spieler. Er fährt jedes Mal 60 Kilometer, um zu proben. „Der findet sonst nichts Brauchbares bei sich in der Nähe“, sagt der Bandleader. „So ein Raum muss ja auch bezahlbar sein.“ Ihr Raum an der Marientorstraße kostet 200 Euro im Monat, 30 Euro davon für Strom. Die Musiker teilen die Kosten untereinander auf. Als Aereum im Sommer 2017 einzog, waren sie zunächst Mieter eines leeren Zimmers. An den Wänden hingen bunte Teppichfliesen aus dem Baumarkt, unter der Decke war eine Stoffbahn aus Baumwolle und Ballonseide gespannt. „Wegen der Akustik“, sagt Philip Roschat, „ist aber noch von unseren Vorgängern.“
Mit seiner Band machte er den Raum dann gemütlich. Sie schleppten Sofa und Sessel rein, stellten einen Kühlschrank für Bier und Wasser in die Ecke und tackerten ein paar Poster an die Wand. Langsam wurde es eng. Wo noch Platz war, stellten sie die Lücken voll mit Instrumenten, Notenständern, Verstärkern und Lautsprecherboxen.
Wie in einem überhitzten Rockschuppen
Kuschlig wird es, wenn Aereum probt. Frischluft wird über ein Rohr zugeleitet. Egal, so fühlt sich die Probe an wie ein richtiges Konzert in einem überhitzten Rockschuppen. Eine Vorbereitung für das, was kommt: Bald hat Aereum den ersten Auftritt vor Publikum. Die Band spielt am 19. Januar im Oberhausener Kulturzentrum Emscherdamm beim Minifestival „Mead & Greed: Pagan Night 2019“.
Fünf Songs hat die Band derzeit im Repertoire. Sie heißen etwa „Whitejack“, „Digital Warfare“ oder „Parasitic Confession“. Ein paar Lieder sollen noch hinzukommen, dann nehmen sie ihr erstes Album auf. Ganz bodenständig, im eigenen Proberaum. „Für eine Band wie uns, die eh noch keine Sau kennt, wäre ein Studio auch völlig überflüssig“, sagt Schlagzeuger Moritz Roschat.
„Ich war 1989 Abiturient und habe als Local-Crew-Chef in der Mercatorhalle gearbeitet. Dabei habe ich Udo Jürgens kennengelernt – ich habe Kisten geschleppt, er war ein Weltstar. Drei Tage haben wir hinter den Kulissen miteinander verbracht, leidenschaftlich über deutsche Texte in der Musik diskutiert und ich war persönlich sehr beeindruckt von ihm. Udo war irgendwie auch Rock’n’Roll, mit seinem ganzen Lifestyle war er wie ,einer von uns‘. Und auch auf der Bühne hatte er – selbst im Smoking – diese Ausstrahlung. Das alles war zu meiner großen Überraschung nicht so viel anders, als ich das bei einem Rockkonzert selber auch gemacht hätte. Man muss sich das vorstellen: Ein 60-plus-Publikum in der altehrwürdigen Mercatorhalle, in der die Leute an Zehner-Tischen saßen und mit dem ersten Ton auf dem Klavier war die Stimmung da – auf Knopfdruck. Die Leute rannten nach vorne und sogar BHs sind auf die Bühne geflogen – vermutlich aber wohl zu diesem Zweck mitgebrachte.“
"Ein Konzert, das mir in Erinnerung geblieben ist, ist der Auftritt der DDR-Band Silly – und der ist eine gefühlte Ewigkeit her. Das Akzente-Festival hatte 1987 das ,Motto Einblicke‘ zu Gast waren jede Menge Künstler und Wissenschaftler aus der DDR. So was hatte es bis dato nicht gegeben, die Mauer stand ja noch. Dass sie zwei Jahre später fällt, war damals nicht abzusehen. Überall in der Stadt hingen die Akzente-Plakate: Schwarz-Rot-Gold mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz! Ich war zu dieser Zeit Student, und an der Uni trat Silly auf. Ich glaube, im Audimax. Hingegangen bin ich dann mit ein paar Kommilitonen. Wir kannten die Band gar nicht, waren aber neugierig. Aus dem Osten kam ja sonst nicht viel bei uns an. Was Silly an dem Abend abgeliefert hat, war echt gut. Die Stimmung im Publikum war super, und die Band war echt mutig, hat kein Blatt vor den Mund genommen. Erst hatten wir gedacht, sie müssten auf der Bühne beweisen, dass sie linientreue DDR-Bürger sind – aber spätestens, als sie dann als Zugabe ,Ruby Tuesday‘ von den Rolling Stones gespielt haben, waren wir echt überrascht.“