Poesie auf der Bühne
„Hände hoch! Keine Bewegung!“ Lisa Brück spricht wie eine Polizistin im Einsatz. Dabei gehört die Stakkato-Einleitung nur zu ihrem lyrischen Text. „Farben“ heißt das Stück, das die 23-Jährige geschrieben hat und nun im Duisburger Biegerpark vorträgt. Es handelt von Polizeigewalt gegen Schwarze, von Rassismus am Arbeitsplatz und von Ausgrenzung in der Schule. „Also sag das nochmal dem kleinen, schwarzen Kind, das sich nächtelang den Kopf darüber zerbricht, wie es sich unsichtbar machen kann, bis die Mitschüler nicht mehr gemein sind“, ruft Lisa Brück hinaus. In ihrer Stimme vermischt sich Wut mit Trauer. Ebensolche Erfahrungen wie das kleine, schwarze Kind in „Farben“ hat auch sie, Tochter einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters, während ihrer Schulzeit gemacht.
Ernsthafte Sozialkritik
Mit dem Thema Rassismus setzt sich Lisa Brück auf der Bühne auseinander. Die Frau aus Huckingen ist Poetry-Slammerin. Sie schreibt literarische Texte und trägt diese bei Wettbewerben vor. Lisa Brück hat sich in der Disziplin einen Namen gemacht. In diesem Herbst landete sie bei den NRW-Meisterschaften in Hagen auf Platz drei. Wer bei Lisa Brück im Publikum sitzt, bekommt ernsthafte Sozialkritik und keine spaßige Alltagslyrik. Ihre Poesie behandelt Rassismus und Sexismus. „Die Veranstalter von Poetry Slams wissen, dass ich für Diversität stehe“, sagt Lisa Brück.
„Die Veranstalter von Poetry Slams wissen, dass ich für Diversität stehe.”
Ihre Liebe zur Sprache entdeckte sie während der Schulzeit am Reinhard-und- Max-Mannesmann-Gymnasium im Duisburger Süden. „Wenn wir eine neue Lektüre bekommen haben, habe ich das Buch sofort verschlungen“, sagt Lisa Brück. Im Unterricht las sie heimlich Romane, in ihrer Freizeit schrieb die Schülerin Gedichte. Das Genre Poetry Slam entdeckte sie durch ein Video, das vor acht Jahren viral ging. Lisa Brück sah den Auftritt von Julia Engelmann, die in „One day“ der allgemeinen Trägheit den Kampf ansagte. Die Szene hatte einen neuen Star – und Lisa Brück ein großes Ziel. Sie wollte auch auf der Bühne stehen.
Der erste Auftritt auf einer Bühne
Lisa Brück schrieb, probte ihren Vortrag und hatte schließlich 2018 ihren ersten Auftritt. Sie nahm an einem Wettbewerb für Newcomer in Essen teil. „Da saßen vielleicht fünfzig Leute vor mir, aber gerade das hat mich nervös gemacht“, sagt Lisa Brück. „Ich habe jede kleine Reaktion aus dem Publikum mitbekommen.“ Sie zog es trotzdem durch, nahm danach aber Abstand von Poetry Slams. „Ich habe noch für meine Freundinnen Stücke zum Geburtstag vorgetragen, das war es aber auch“, erzählt Lisa Brück.
2020 kam es zu einem Wendepunkt: Der Mord an dem schwarzen US-Amerikaner Ahmaud Arbery inspirierte Lisa Brück zum Anklagestück „Sag mir, weißer Mann“. Sie lud ihren Vortrag bei Instagram hoch und erreichte mehr als 5.000 Aufrufe. Als wenige Wochen später der Mordfall George Floyd weltweit für Aufsehen sorgte, kam es auch in Deutschland zu Protesten. Lisa Brück bekam die Einladung, bei einer Demonstration in Düsseldorf aufzutreten. Sie sagte zu, setzte sich in die U-Bahn und fuhr mit ihrer Schwester Zoé zum Landtag. „Unterwegs stiegen immer mehr Schwarze zu, ich wurde immer nervöser“, erzählt Lisa Brück. Ihre Schwester wollte sie beruhigen, indem sie mit „höchstens 500 Leuten“ in Düsseldorf rechnete.
Doch sie sollte sich irren: Rund 10.000 Menschen säumten den Platz. Mit wackeligen Beinen stieg Lisa Brück über eine Leiter auf das Dach eines Feuerwehrautos hinauf. Von dort sprach sie zu der Menge. „Ich kam mir vor wie in einer Arena“, erzählt Lisa Brück. „Und ich war vom ersten Wort an voll mit Adrenalin.“ Sie traf mit „Sag mir, weißer Mann“ den richtigen Nerv, wildfremde Menschen bedankten sich bei der Duisburgerin für ihren Vortrag.
Weitere Auftritte
Lisa Brück entschloss sich nach diesem Erlebnis, wieder an Poetry Slams teilzunehmen. Auf den Zugfahrten zur Uni schrieb sie neue Texte, vor dem Spiegel feilte sie an Gestik, Mimik und Betonung. Die Uhr musste Lisa Brück dabei stets im Blick haben. Gerade bei Meisterschaften gelten strenge Regeln. Wer länger als sechs Minuten spricht, läuft Gefahr, dass ihm das Mikrofon abgedreht wird.
Sie kann sich vorstellen, mit Literatur dauerhaft ihr Geld zu verdienen. Den Bachelor in Sozialer Arbeit hat Lisa Brück bereits gemacht. Nun möchte sie den Studiengang Kreatives Schreiben anschließen. An den Wochenenden tritt die Nachwuchsliteratin weiterhin bei Wettbewerben an. Sie kämpft dort um Punkte und für ein noch viel größeres Ziel: für eine Gesellschaft ohne Rassismus.
Mit den Duisburger Poetry- Slammern Abdul Kader Chahin und Malte Küppers sowie der Sängerin Florence hat Lisa Brück die Lesebühne entwickelt. Im soziokulturellen Zentrum Stapeltor veranstalten sie regelmäßig das literarische Format. Mehr Infos zum Programm und zu den Terminen gibt es unter: stapeltor.de